wbgu_sondergutachten_klimabudgetBerlin (epo.de). - Mit dem Vorschlag einer globalen Deckelung des Kohlendioxid-Ausstoßes wollen deutsche Wissenschaftler Bewegung in die stagnierenden Verhandlungen für ein neues Klimaschutz-Abkommen in Kopenhagen bringen. Die Staatengemeinschaft müsse sich darauf einigen, bis zum Jahr 2050 insgesamt nur noch 750 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre abzugeben, heißt es in einem Sondergutachten, das der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) am Dienstag in Berlin der Bundesregierung übergab.

"Der WBGU hat eine internationale Klimaformel entwickelt, die Kopenhagen zum Durchbruch verhelfen kann, weil sie fair und transparent ist und zugleich Weichen in Richtung einer klimaverträglichen Weltwirtschaft stellt", sagte Professor Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE). "Für Industrie- und Entwicklungsländer würden sich Energie- und Treibhausgaseffizienz lohnen. Die Studie zeigt auch, dass die Welt vor einer historischen Herausforderungen steht. Das fossile Zeitalter muss in wenigen Dekaden beendet werden. Ohne eine enge Kooperation von Industrie- und Entwicklungsländern ist dieser Umbruch nicht zu schaffen."

In dem Sondergutachten "Kassensturz für den Weltklimavertrag: Der Budgetansatz" geht der WBGU von dem Ziel aus, dass die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzt werden muss, um verheerende Folgen des Klimawandels wie das Abschmelzen des Grönland-Eisschildes zu vermeiden. Das Zwei-Grad-Ziel war vom Weltklimarat (IPCC) verkündet und vom G8 Gipfel in L'Aquila im Juli bestätigt worden. Der Leiter der Abteilung Klimasystem am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Professor Stefan Rahmstorf, räumte bei der Vorstellung des Gutachtens jedoch ein, auch bei einer Begrenzung der Erderwärmung auf 2°C können ein Abschmelzen des Grönlandeises nicht völlig ausgeschlossen werden. Ein Anstieg des Meeresspiegels um rund sieben Meter wäre die Folge.

Rahmstorf zufolge errechneten die WBGU-Wissenschaftler eine 67-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass das Zwei-Grad-Ziel erreicht werden kann, wenn der globale CO2-Ausstoß bis 2050 750 Milliarden Tonnen nicht überschreitet. Im Rahmen dieser globalen Obergrenze für Kohlendioxid aus fossilen Quellen ("Globalbudget") stünden jedem jedem Menschen auf der Erde gleiche Emissionsrechte zu. Die Menge Kohlendioxid würde gemäß der Bevölkerungsstärke auf die einzelnen Staaten verteilt. Daraus ergeben sich nationale Emissionsbudgets, aus denen Reduktionsverpflichtungen für einzelne Staaten abgeleitet werden können. Gegenwärtig werden weltweit rund 30 Milliarden Tonnen Kohlendioxid jährlich ausgestoßen.

Der "neuartige Ansatz zur Bewältigung des Klimaproblems" (WBGU) hätte den Vorteil, dass "nur noch wenige politische Parameter" verhandelt werden müssten, sagte Dirk Messner. Alle Staaten wären gefordert, auf der Grundlage der noch erlaubten nationalen Kohlendioxidmengen nachhaltige und überprüfbare Strategien für eine klimaverträgliche Wirtschaftsweise zu entwickeln. Die Industrieländer müssen aufgrund ihrer höheren Emissionen in der Vergangenheit die Entwicklungs- und Schwellenländer mit Finanz- und Technologietransfer dabei unterstützen.

Quelle: WBGU

Voraussetzung für das Funktionieren des Ansatzes wäre ein globales Emissionshandelssystem. Denn die Industriestaaten könnten die notwendige Verringerung ihrer Treibhausgas-Emissionen aus eigener Kraft gar nicht mehr schaffen. Sie müssten Emissionsrechte von den Entwicklungsländern zukaufen.

KLIMAVERHANDLUNGEN IN DER SACKGASSE

Messner machte vor der Presse in Berlin deutlich, dass die Verhandlungen im Rahmen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in eine Sackgasse gelangt sind und ein ambitioniertes Klimaschutzabkommen - ein Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll, das 2012 ausläuft - beim Klimagipfel im Dezember in Kopenhagen kaum noch zu erwarten ist. "Der Verhandlungsmarathon für Kopenhagen kommt nicht von der Stelle", sagte der DIE-Chef.

Der "Budgetansatz" hätte aus der Sicht des WBGU den Vorteil, dass er "einfach, transparent und gerecht" ist und jedes Land dazu zwingen würde, die Energieeffizienz zu steigern, das Wirtschaftswachstum von der Nutzung fossiler Energiequellen und vom CO2-Ausstoß weitgehend abzukoppeln ("Dekarbonisierung") und auf erneuerbare Energien umzustellen. "Die Weltwirtschaft ist auf dem Weg in die CO2-Insolvenz", betonte Messner. "Für rund zwei Drittel aller Länder ist eine Weiter-so-Politik keine Option mehr. Um gefährliche Klimaänderungen zu vermeiden, müssen alle Staaten heute schon die Weichen für die Transformation in eine klimaverträgliche Wirtschaftsweise stellen. Das schließt auch Schwellen- und Entwicklungsländer mit ein. Die ganze Welt muss an einem Strang ziehen, um die Klimakrise zu überwinden."

Würde sich der Kohlendioxid-Ausstoß auf heutigem Niveau fortsetzen, wäre das Globalbudget schon in etwa 25 Jahren ausgeschöpft. Noch steigen die Emissionen von Jahr zu Jahr an. Der WBGU rät dringend dazu, spätestens ab 2020 zu weltweit sinkenden Emissionen zu kommen. Zusätzlich zur Festlegung von noch erlaubten CO2-Budgets für alle Länder sind der Ausbau eines globalen Emissionshandels, die Förderung von Technologiepartnerschaften sowie Kooperation zwischen Hoch- und Niedrigemissionsländern erforderlich. "Zur Kontrolle dieser Mechanismen sowie der Dekarbonisierungsstrategien einzelner Länder soll eine Weltklimabank eingerichtet werden", schlägt der WBGU vor.

Ausgehend von den Emissionen im Jahr 2008 würde das deutsche Verschmutzungs-Budget für die Jahre 2010 bis 2050 neun Milliarden Tonnen CO2 betragen - und in den nächsten zehn Jahren aufgebraucht sein. Das US-Budget würde für rund sechs Jahre reichen, das von China 24 Jahre. Indien könnte seinen CO2-Ausstoß noch 88 Jahre lang beibehalten, Burkina Faso sogar 2.892 Jahre. Das überschüssige Budget könnten Entwicklungsländer in Form von Emissionsrechten an Industriestaaten verkaufen und damit Klimaschutzmaßnahmen finanzieren.

POLITISCHE UMSETZUNG FRAGLICH

Welche Bedeutung die Bundesregierung dem Gutachten beimißt, machte die Anwesenheit von drei Staatssekretären bei der Vorstellung deutlich. Prof. Frieder Meyer-Krahmer, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), verwies darauf, die Wende müsse in zehn Jahren erreicht sein. Der Budgetansatz würde "einen Schub für Forschung und Innovation" bedeuten.

Erich Stather, Staatssekretär im Entwicklungsministerium (BMZ), betonte, unter den rund 100 Ländern, die ihren CO2-Ausstoß aus fossilen Energien reduzieren müssten, seien viele Entwicklungsländer. Indien gelte als "Blockierer", weil es Verhandlungen über eigene Reduktionsziele bislang rundweg ablehnte, sei auf der anderen Seite aber vorbildlich, wenn es um die Pro-Kopf-Emissionen gehe.

Der Staatssekretär im Bundesumweltminsterium (BMU), Matthias Machnig, ist hingegen skeptisch, ob der "Budgetansatz" Chancen auf eine politische Umsetzung im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen hat. "Ich sehe außerhalb Europas momentan nicht die Partner", sagte Machnig. Viele Länder des Südens wollten sich entwickeln und sähen in Forderungen hinsichtlich der Art und Weise ihrer industriellen Entwicklung eine Form des "Öko-Imperialismus". Hinzu komme die Komplexität des Verhandlungsprozesses, der sich nicht einfach auf einen neuen Mechanismus umstellen lasse. Ein globales Emissionshandelssystem, die Voraussetzung für eine flexible Handhabung des Budgetansatzes, gebe es nicht. Derzeit gibt es lediglich in Europa einen Handel mit Verschmutzungs-Zertifikaten.

www.wbgu.de

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