somalia_lage_150Berlin (epo.de). - Die Lage in Somalia verschärft sich. Übergangsregierung und islamistische Oppositionsgruppen kämpfen um die Macht, während die organisierte Kriminalität inzwischen die Staatsgrenzen überschritten hat. Die jüngsten Kämpfe zwischen Aufständischen und Regierungstruppen in Mogadischu forderten zahlreiche Opfer. Der "failed state" Somalia wird durch militärische Einsätze nicht zu retten sein, sind Wissenschaftler überzeugt. Erforderlich sind wirksame Hilfen beim staatlichen Wiederaufbau. Ein Hintergrundbericht von unserem Bonner Mitarbeiter Alwin Becker.

Somalia, das entlang einer der wichtigsten Handelsrouten der Welt am Horn von Afrika liegt, befindet sich seit dem Sturz des totalitären Regimes unter Siad Barre in 1991 im Bürgerkrieg und Chaos. Die im Jahr 2000 gewählte Übergangsregierung ist zwar international anerkannt, jedoch kontrolliert sie nur Teile der Hauptstadt Mogadischu und des Südens. Die wirkliche Macht in den meisten Regionen des Landes gehört den untereinander zerstrittenen lokalen Clans und Kriegsherren.

Die breite Bevölkerung lehnt die Übergangsregierung, die sie als den Clan des Präsidenten Sharif Sheikh Ahmed versteht, auch wegen dessen Verbindung mit Äthiopien ab. Die nach dem Regierungssturz entstandenen Regionen Galmudug, Maakhir und Puntland sind auf dem Kurs zur Souveränität. Im Norden von Somalia ist im Jahr 1991 ein unabhängiger Staat Somaliland mit der Hauptstadt  Hargeysa entstanden. Obwohl Somaliland seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 zu Demokratie strebt, wird es von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt.

FAILED STATE

Aufgrund der andauernden Zersplitterung des einstigen staatlichen Gebietes Somalias sowie des Fehlens des staatlichen Gewaltmonopols setzte die US-NGO Fund for Peace Somalia auf Platz 1 im Index der so genannten Failed States. Als Failed States werden Staaten eingestuft, die ihren Bürgern weder Sicherheit noch Wohlfahrt noch Rechtsstaatlichkeit garantieren können.

Mit dem Ausbruch der schweren Kämpfe in der Hauptstadt Mogadischu im Mai dieses Jahres hat sich die humanitäre Katastrophe in dem von bewaffneten Konflikten zerrütteten Land verschärft. Nach dem Beginn der Offensive der radikalislamischen Shebab-Miliz und der Gruppierung Hesb al-Islam gegen die Truppen der Übergangsregierung von Präsident Sharif Sheikh Ahmed verließen 240.000 Bewohner ihre Wohnorte.

Über drei Millionen Flüchtlinge suchen landesweit Schutz von bewaffneten Auseinandersetzungen der Kriegsparteien. Ihrer Lebensgrundlagen beraubt, sind sie auf die Lebensmittelhilfe von außen angewiesen. Doch aufgrund der häufigen Angriffe gegen die Helfer können internationale Hilfsorganisationen den Hungernden nicht immer rechtzeitig helfen. Darüber hinaus verschlechterte sich die Lebensmittelversorgung nach dem Ausbruch der Dürre, von der der Großteil des Staatsgebietes betroffen ist. Allein das Rote Kreuz verteilte seit April dieses Jahres Lebensmittel, Plastikplanen, Decken, Kochgeschirr und Kleidung an 100.000 Notleidende. Die Hilfsorganisation stellt gegenwärtig täglich für mehr als 50.000 Personen sauberes Trinkwasser zur Verfügung.

Somalia. Grafik: Wikimedia Commons/Lencer

Politische und wirtschaftliche Instabilität und das Versagen des Staates, der seinen wichtigsten Funktionen nicht mehr nachkommt, führten in Somalia zum Anstieg der Armut und zur Entstehung der organisierten Kriminalität und der Piraterie. Schwer bewaffnete Räuberbanden überfallen in schnellen Motorbooten Frachtschiffe internationaler Unternehmen, die den Golf von Aden passieren, nehmen die Besatzung als Geisel und erpressen die Eigentümer der entführten Schiffe.

PIRATENFISCHER UND PIRATEN

Durch Piraterie ist den international tätigen Transport- und Handelunternehmen bereits großer Schaden entstanden. Oft verhindern die Piratenüberfälle die Lieferungen von Nahrungsmittelhilfe. Allein im Jahr 2008 überfielen die somalischen Piraten 59 Schiffe und erpressten ca. 150 Mio. US-Dollar, womit sie sich wiederum schnellere Motorbote, moderne Schiffe und Waffen beschaffen. Die somalische Übergangsregierung hat keine Mittel und Möglichkeiten, um gegen Piraten vorzugehen. Hier sorgt mittlerweile die internationale Gemeinschaft für Sicherheit des Schiffsverkehrs. An der Überwachung der somalischen Küste werden abwechselnd Kriegsschiffe aus mehr als 20 Ländern eingesetzt.

Internationale Experten sehen die Gründe für die Entstehung von Piraterie in Somalia in der Tatsache, dass nach dem Sturz der Regierung 1991 die Überwachung der Hoheitsgewässer des Landes nicht gewährleistet war. Dies führte dazu, dass ausländische Fischfangflotten illegal die Gewässer von Somalia überfischten. Die somalischen Fischer gingen dabei leer aus.

Um ihre Lebensgrundlagen zu schützen, fingen die ehemaligen Fischer an, von den ausländischen Fischerflotten "Entschädigungsgebühren" zu erpressen. Bald gerieten auch Frachtschiffe und Passagierschiffe ins Visier der verarmten somalischen Fischer. Inzwischen ist der Anteil der Fischer unter den Piraten zurückgegangen, vielmehr sind es jetzt organisierte kriminelle Gruppen, darunter ehemalige Bürgerkriegskämpfer und Technik-Experten, die im Stande sind, Navigations- und Satellitentechnik einzusetzen. Die Raubüberfälle werden meistens vom Festland koordiniert.

Andrew Mwangura vom Ostafrikanischen Seefahrerprogramm sieht den Auslöser für die Entstehung der somalischen Piraterie in dem illegalen Fischfang, den die ausländischen Fischfangflotten in somalischen Gewässern betreiben. Es ist offensichtlich, dass Somalia aus eigener Kraft das Problem nicht in den Griff bekommt. Dazu ist die Lage im Lande zu instabil und verworren. Erst vor wenigen Tagen wiesen die islamistischen Rebellen in Somalia einen Aufruf des Präsidenten zurück, der einen Waffenstillstand während des Fastenmonats Ramadan vorgeschlagen hatte.

STAATLICHKEIT WIEDER AUFBAUEN

Der Entwicklungsexperte Dr. Conrad Schetter vom Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung ist der Meinung, dass die internationale Gemeinschaft in Somalia vor allem auf die Unterstützung vom Aufbau von Staatlichkeit setzen sollte: "Die Vergangenheit zeigte, das durch militärische Einsätze der westlichen Länder die Situation in Somalia nicht verbessert werden konnte. Vielmehr sollte die internationale Gemeinschaft die behutsamen Staatsbildungsprozesse, die in Somaliland zu beobachten sind, unterstützten. Denn nur über die Herstellung eines staatlichen Gewaltmonopols ist es möglich, die Piraterie zu bekämpfen."

Das Beispiel von Tadschikistan, einem Land in Zentralasien, das nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion jahrelang vom Chaos des Bürgerkriegs erfasst worden war, zeigt, dass die Befriedung des Landes nicht ohne Einbeziehung der oppositionellen Kräfte möglich ist. Erst nachdem man durch die Vermittlung von internationalen Diplomaten der islamischen Opposition Tadschikistans eine Regierungsbeteiligung angeboten hatte, kam das Land zum Frieden. Die Kunst der Diplomatie und Entwicklungshilfe könnten auch Somalia den Frieden bringen.

Alwin Becker

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