07_prozent_100Berlin. - Nichtstaatliche Organisationen haben die Geberländer daran erinnert, dass sie trotz steigender Entwicklungshilfe im Jahr 2010 ihre Hilfszusagen vom G8 Gipfel 2005 im schottischen Gleneagles um rund 18 Milliarden US-Dollar verfehlt haben. Es sei nach der Veröffentlichung der jüngsten Zahlen der OECD überdies absehbar, dass die Leistungen in den kommenden Jahren gekürzt würden. An die deutsche Bundesregierung ging die Aufforderung, sie solle ihr Versprechen einhalten, ab dem Jahr 2015 mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben.

Nach den am Mittwoch veröffentlichten Zahlen der OECD ist die weltweite öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) von 119,7 Milliarden US-Dollar im Jahr 2009 auf 128,7 Milliarden US-Dollar im Jahr 2010 gestiegen. "Damit haben die Geberländer ihre Hilfszusagen vom G8-Gipfel 2005 im schottischen Gleneagles um rund 18 Milliarden US-Dollar verfehlt", erklärte die Hilfsorganisation Oxfam. "Damals war medienwirksam versprochen worden, die jährlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit bis 2010 um 50 Milliarden US-Dollar zu erhöhen." Die Hälfte davon sollte Ländern in Afrika zugute kommen. Doch 2010 seien nur 11 Milliarden US-Dollar zusätzlich dorthin geflossen.

"Das ist eine große Enttäuschung", bilanzierte Tobias Hauschild, Experte für Entwicklungsfinanzierung bei Oxfam Deutschland. "Und das dicke Ende kommt noch: Es ist absehbar, dass viele Geberländer ihre Entwicklungsleistungen infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise in den kommenden Jahren kürzen werden." Dies habe fatale Folgen für die Menschen in armen Ländern, warnte Oxfam. Laut Weltbank seien durch die Finanz- und Wirtschaftskrise zusätzlich 64 Millionen Menschen in extreme Armut geraten. "Kürzungen bei der Entwicklungshilfe könnten dazu beitragen, dass diese Zahl noch größer wird", sagte Hauschild. "Für Menschen in armen Ländern bedeutet dieser Bruch des Gleneagles-Versprechens weniger Zugang zu Trinkwasser, zu Nahrungsmitteln und lebensrettenden Medikamenten."

Auch die Steigerung der deutschen Entwicklungshilfequote auf 0,38 Prozent im Jahr 2010 sei keine Erfolgsmeldung. "Hier hat man nur die Streichungen aus dem Vorjahr wieder wettgemacht", so Hauschild. Denn nach 0,38% im Jahr 2008 sei die ODA-Quote 2009 auf 0,35% des BIP gefallen. Die in 2005 zugesagte Erhöhung auf 0,51% im Jahr 2010 habe die Bundesregierung deutlich verfehlt. "Der Kassensturz der OECD fällt für die Bundesregierung damit alles andere als schmeichelhaft aus", konstatierte Hauschild. Germanwatch sprach von einer "schändlichen Entwicklung der deutschen ODA-Quote".

Eine Besserung sei nicht in Sicht, befürchtet Oxfam. Mit dem jüngsten Eckwertebeschluss zum Bundeshaushalt 2012 und der darin vorgesehenen Erhöhung des Entwicklungsetats um lediglich rund 100 Millionen Euro könne das weitere Ziel, bis 2015 auf eine ODA-Quote von 0,7% zu kommen, nicht erreicht werden. Aufgrund seiner vergleichsweise stabilen wirtschaftlichen Situation könne Deutschland aber deutlich mehr leisten. "Die Bundesregierung muss endlich politischen Willen beweisen und ihre Entwicklungshilfe-Versprechen einlösen", so Hauschild. Beispielsweise sollten Einnahmen aus der geplanten Steuer auf Finanztransaktionen auch für Armutsbekämpfung und Klimaschutz in armen Ländern genutzt werden.

Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) begrüßte die Leistungen Deutschlands zur Entwicklungszusammenarbeit, forderte jedoch zugleich von der Bundesregierung, zu ihren finanziellen Verpflichtungen zu stehen. "Deutschland hat sich verpflichtet, im Jahr 2010 mindestens 0,51 Prozent seines Bruttonationaleinkommens als Entwicklungshilfe zu zahlen, und im Jahr 2015 den Beitrag auf 0,7 Prozent weiter zu erhöhen", erklärte DSW-Geschäftsführerin Renate Bähr. "Die Bundesregierung hat nicht nur die 0,51-Prozent-Marke verfehlt, sondern ist auch meilenweit von dem 0,7-Prozent-Ziel entfernt. Deshalb müssen in den anstehenden Haushaltsverhandlungen die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit deutlich erhöht werden, um die internationalen entwicklungspolitischen Verpflichtungen einzuhalten. Deutschland sollte sich ein Beispiel an Ländern wie Dänemark, den Niederlanden und Schweden nehmen, die sogar mehr als 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe ausgeben."

Deutschland liege in absoluten Zahlen nur noch auf Platz 4 der Geberländer hinter den USA, Frankreich und Großbritannien, kritisierten die Welthungerhilfe und terre des hommes. 2008 habe Deutschland noch auf dem zweiten Platz gelegen. Mit einer Quote von 0,38 Prozent belege Deutschland gerade noch den 13. Platz unter den 23 westlichen Geberländern. "Es ist höchste Zeit, dass das UN-Sicherheitsrat-Mitglied Deutschland seine internationalen Verpflichtungen erfüllt", sagte Danuta Sacher, Geschäftsführerin von terre des hommes. "Ein verbindlicher Stufenplan der Bundesregierung zur Steigerung der Entwicklungshilfemittel bis zum Jahr 2015 ist überfällig."

Welthungerhilfe und terre des hommes begrüßten in diesem Zusammenhang ausdrücklich den Vorschlag des Vorsitzenden des OECD-Entwicklungsausschusses Brian Atwood, einen Kodex zu verabschieden, mit dem die Entwicklungshilfeversprechen durch konkrete Pläne abgesichert werden.

"Das Argument des BMZ, es käme mehr auf die Ergebnisse als auf die Höhe der Entwicklungshilfe an, ist irreführend", kritisierte Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Welthungerhilfe. "Die Wirksamkeit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit steigern zu wollen, ist eine begrüßenswerte Selbstverständlichkeit. Aber ohne ausreichende Finanzmittel können weder Schulen oder Krankenhäuser effektiv arbeiten noch Straßen gebaut oder Trinkwassersysteme errichtet werden. Im Gegenteil: Die Unterfinanzierung von Entwicklungsprogrammen untergräbt ihre Wirksamkeit."

Nachdem die Leistungen an Sub-Sahara Afrika zwischen 2005 und 2008 durchaus gewachsen waren, sei der Bundesregierung in den letzten zwei Jahren der Fokus auf den Kontinent, der am meisten von der internationalen Unterstützung bei der Armutsbekämpfung profitieren kann und soll, abhanden gekommen, erklärte der Direktor der entwicklungspolitischen Organisation ONE, Tobias Kahler. "Da Deutschlands Wirtschaft derzeit die höchsten Wachstumsraten seit der Wiedervereinigung aufweist, sollte die Geschwindigkeit der Aufwüchse im Bereich Entwicklungszusammenarbeit diesen Umstand widerspiegeln. Derzeit agiert Deutschland unterhalb seiner Möglichkeiten und unterhalb seiner Verpflichtungen."

Der grüne Bundestagsabgeordnete Thilo Hoppe erklärte, weder Schönrechnerei noch gegenseitige Schuldzuweisungen führten jetzt weiter. Im Haushalt 2012 müssten "endlich die kollektiven Fehler der Vergangenheit ausgeglichen und mindestens 1,2 Milliarden Euro zusätzlich für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitgestellt werden, so wie das in ihrem Aufruf zu einem 'Entwicklungspolitischen Konsens' mittlerweile 335 Bundestagsabgeordnete aus allen fünf Fraktionen fordern." Dieses Geld wird dringend gebraucht, um den weltweiten Hunger zu bekämpfen, Basisgesundheitsdienste und Grundbildung auch für die Ärmsten der Armen zu schaffen und auf die großen Umbrüche in Afrika und im gesamten arabischen Raum angemessen reagieren zu können."


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