wbgu_jg2011_80Berlin. - Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat am Donnerstag sein neues Hauptgutachten "Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" an Forschungsministerin Annette Schavan und Umweltminister Norbert Röttgen (beide CDU) übergeben. Der WBGU begründet in seinem Bericht die "dringende Notwendigkeit einer post-fossilnuklearen Wirtschaftsweise", zeigt zugleich die Machbarkeit der Wende zur Nachhaltigkeit auf und schlägt konkrete Maßnahmen zur Beschleunigung des erforderlichen Umbaus vor.

Damit die Transformation gelingen kann, muss aus der Sicht des WBGU ein Gesellschaftsvertrag zur Innovation durch einen neuartigen Diskurs zwischen Regierungen und Bürgern innerhalb und außerhalb der Grenzen des Nationalstaats geschlossen werden. Nur mit einem tiefen gemeinsamen Verständnis von klimaverträglicher Wertschöpfung und nachhaltiger Entwicklung lasse sich die globale Krise der Moderne überwinden. Das Gutachten zeige "Perspektiven für die Zukunft nachhaltigen Wirtschaftens auf, die nach dem atomaren Desaster von Fukushima erst Recht auf der Agenda der nationalen und internationalen Politik stehen müssen", erklärte der WBGU.

Der WBGU bezeichnet diesen einsetzenden Strukturwandel als die "Große Transformation von der fossilen zur post-fossilen Gesellschaft" und vergleicht sie mit dem Übergang von der Agrargesellschaft zur kohlegestützten Mechanisierung im 18. Jahrhundert. Nach Einschätzung des WBGU ist anspruchsvoller globaler Klimaschutz auch ohne Kernenergie möglich. Im Zentrum jeder Dekarbonisierungsstrategie müsse der massive Ausbau der erneuerbaren Energien und der dafür erforderlichen Infrastruktur stehen. Der Ausstieg aus der Kernenergie dürfe nicht durch eine stärkere Energieerzeugung aus Braun- und Steinkohle kompensiert werden. Die Energiewende zur Nachhaltigkeit könne aber nur dann gelingen, "wenn zugleich die gewaltigen Potenziale zur Effizienzsteigerung ausgeschöpft werden und die Änderung verschwenderischer Lebensstile, insbesondere in den Industrie- und Schwellenländern, kein Tabu mehr sind".

"Soll die Transformation zur klimaverträglichen Gesellschaft gelingen, müssen wir nicht nur das Innovationstempo forcieren, sondern auch aufhören, den Wandel zu blockieren", lautet eine der zentralen Botschaften des WBGU. Eine zureichende Investitionsdynamik für eine zukunftsfähige Weltwirtschaft könne sich nur dann entfalten, wenn Subventionen für fossile Energieträger abgebaut werden, "die weltweit im hohen dreistelligen Milliardenbereich liegen". Zudem müssten die externen Kosten des kohlenstoffbasierten Wachstums berücksichtigt werden, um Preissignale und dadurch Anreize für klimafreundliche Unternehmungen zu setzen.

Die Transformation zur nachhaltigen Gesellschaft erfordere einen modernen Orientierungsrahmen für ein "gutes Zusammenleben" von bald neun Milliarden Menschen mit sich und der Natur - einen neuen "Contrat Social", so der WBGU. Ein solcher, weitgehend virtueller Gesellschaftsvertrag beruhe nicht zuletzt auf dem Selbstverständnis jedes Einzelnen als verantwortungsbewusstem Erdenbürger und werde auch zwischen Generationen geschlossen. Ebenso gehe es um eine neue Kultur demokratischer Teilhabe. Dafür werden im Gutachten zahlreiche Möglichkeiten vorgeschlagen, beispielsweise die Ernennung von Ombudsleuten zur Wahrung von Zukunftsinteressen. Der WBGU macht zudem deutlich, dass eine klimaverträgliche Transformation nur erfolgreich sein kann, wenn sie in vielen Regionen der Welt zugleich vorangetrieben wird. In diesem Kontext empfiehlt der WBGU unter anderem die Schaffung eines dem Weltsicherheitsrat ebenbürtigen Rates für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und die Bildung von Klima-Allianzen zwischen Staaten, Städten und Unternehmen.

Der Ausstoß von Treibhausgasen erfolgt überwiegend durch die Energiewirtschaft und die Landnutzung, wobei die dramatische globale Urbanisierung eine entscheidende Rolle spielt. Das sind aus der Sicht des WBGU die drei zentralen Transformationsfelder, auf denen Strategien zur Senkung von Emissionen schnell und umfassend greifen müssen.

Speziell beim Aufbau klimaverträglicher Energiesysteme bestehe die Herausforderung darin, die Energiearmut in den Entwicklungsländern zu beenden und gleichzeitig die globalen CO2-Emissionen aus der Nutzung fossiler Energieträger rasch und drastisch zu mindern. Damit dies gelingt, dürfe die globale Endenergienachfrage nur noch unwesentlich steigen, so der WBGU. Sie liege heute bei etwa 350 Exajoule (EJ) pro Jahr und sollte 2050 nicht mehr als 400–500 EJ pro Jahr betragen. Effizienzverbesserungen und Lebensstiländerungen seien daher in vielen Alltagsbereichen erforderlich.

Der WBGU empfiehlt eine Strategie, die primär auf den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien setzt. In der Landnutzung liegt das Hauptaugenmerk auf der raschen Beendigung von Waldrodung und Walddegradation sowie auf der Förderung von klimaverträglicher Landwirtschaft und Ernährung. Die Kosten der Transformation können aus der Sicht des WBGU signifikant gesenkt werden, wenn in Europa gemeinsame Dekarbonisierungsstrategien umgesetzt werden.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) wurde 1992 im Vorfeld der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro von der Bundesregierung als unabhängiges wissenschaftliches Beratungsgremium eingerichtet. Er hat neun Mitglieder, die für jeweils vier Jahre von der Bundesregierung berufen werden.

www.wbgu.de

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