Bonn. - Die Entwicklungsländer haben den Internationalen Währungsfonds (IWF) seit jeher mit Misstrauen betrachtet und nur selten als unparteiische Institution gesehen. Dazu waren die Stimmrechte im IWF zu ungleich verteilt, mit den USA und Europa, den wirtschaftlichen Hegemonialmächten des 20. Jahrhunderts, als dominanten Akteuren. Das schien sich zu ändern, als sich die Gewichte im IWF in den letzten Jahren allmählich zugunsten der Schwellenländer, insbesondere zugunsten Chinas, verschoben.
Die aktuelle Kolumne von Dr. Peter Wolff vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).
Mit der Berufung der französischen Finanzministerin Christine Lagarde an die Spitze des IWF war indes wieder klar geworden, dass Europa und die USA, trotz anders lautender Ankündigungen im Rahmen der G20, noch nicht gewillt sind, ihre Position in der Führung von IWF und Weltbank zu räumen. Die Schwellenländer, auch das wurde dabei offensichtlich, waren nicht in der Lage gewesen, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen.
Mit seiner Rolle in der Schuldenkrise (Süd-) Europas kommt der IWF jetzt unter Feuer, vor allem aus Lateinamerika, während sich die asiatischen Schwellenländer noch höflich zurückhalten. Lateinamerikaner und Asiaten haben in der Vergangenheit zu lange unter dem Diktat des Fonds gelitten, als dass sie sich jetzt, wo Europa die Mittel des IWF dringender braucht als die Entwicklungsländer, zurückhalten könnten. Wer noch in Erinnerung hat, wie der IWF unter Horst Köhler Argentinien 2001 den Geldhahn zudrehte, oder in Indonesien 1998 unter Michel Camdessus in der Asienkrise die Schließung von Banken verfügte, der blickt jetzt misstrauisch auf die Finanzierungs- und Auflagenpolitik des Fonds in Europa.
Die Schwellenländer kritisieren, erstens, dass der Fonds einen zu großen Teil seiner Mittel – die im Zuge der Finanzkrise verdreifacht wurden – Griechenland, Irland und Portugal zur Verfügung stellt. Das macht immerhin zwei Drittel der jüngsten IWF-Zusagen aus, die anstehende zweite Finanzierungsrunde für Griechenland noch nicht eingerechnet. Demgegenüber erhalten die ärmsten Länder gegenwärtig weniger als zehn Prozent der IWF-Mittel.
Es wird, zweitens, kritisiert, dass der IWF sich Europa gegenüber zu weich verhielte. Er ist, im Falle Griechenlands, Teil einer „Troika“ aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF, bei der die Gewichte eindeutig zugunsten der europäischen Institutionen verteilt sind, auch wenn die Europäer behaupten, sie würden keine Entscheidung gegen das Votum des IWF treffen.
Christine Lagarde weiß natürlich, dass sie sich in einer Zwickmühle befindet und hat deshalb die europäischen Finanzminister gezielt mit Forderungen nach einer stärkeren Kapitalisierung der europäischen Banken und einem langsameren Abbau der Haushaltsdefizite in Deutschland und anderen solventen EU-Ländern provoziert. Das war zwar auch im Sinne einer kohärenten europäischen Krisenpolitik gemeint, entsprach aber eher der US-Position. Deshalb steht jetzt ein weiterer Balanceakt zugunsten der Position der Schwellenländer an.
Wie könnte dies aussehen? Aus Sicht der Schwellenländer sollte der IWF in Europa keine weiteren Finanzmittel mehr zur Verfügung stellen, weil die europäische Durchhaltestrategie, nämlich bereits überschuldete Länder mit noch mehr Krediten zu unterstützen, keinen Erfolg verspricht. Aus dem europäischen Dilemma – der Weigerung privater Kapitalgeber, den südeuropäischen Ländern weiter Kredit einzuräumen und dem Zögern der nordeuropäischen Länder, diesen Kredit aus öffentlichen Mitteln zu ersetzen – sollte sich der IWF weitgehend heraushalten. Seine Auflagenpolitik ist in Europa ohnehin kaum gefragt. Die Präzeptoren der griechischen Wirtschaftspolitik sitzen in Brüssel, Frankfurt und Berlin, nicht in Washington.
Die Legitimität des IWF aus Sicht der Entwicklungsländer steht jetzt also wieder auf dem Prüfstand. Der Fonds rückte mit Zustimmung der Schwellenländer in der Finanzkrise unter Dominique Strauss-Kahn wieder in eine Schlüsselrolle in der Weltwirtschaft. Er hat diese Verantwortung nach dem Führungswechsel noch nicht ausreichend wahrgenommen. Die Auseinandersetzung um kompetitive Währungsabwertungen („Währungskrieg“) nimmt an Schärfe zu. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, deren Land unter entsprechendem Aufwertungsdruck auf seine Währung und spekulativen Kapitalzuflüssen leidet, hat vor einigen Tagen in der Financial Times die mangelhafte globale wirtschaftspolitische Koordinierung heftig kritisiert und vor allem Europa an seine Verantwortung für das Kollektivgut weltwirtschaftliche Stabilität und Wachstum erinnert.
Aus asiatischer Perspektive wird die Rolle des IWF in Europa ebenfalls kritisch gesehen, ohne dass man sich in dieser Sache allzu sehr engagieren würde. China hat etwas mehr Einfluss im IWF – durch höhere Stimmrechte und einen Stellvertreterposten in der Führungsspitze – versucht aber nicht, die Richtung im Fonds zu bestimmen, sondern macht stattdessen bilaterale Finanzierungsangebote an europäische Länder. Daneben wird in aller Stille an den Fundamenten eines Asiatischen Währungsfonds gearbeitet. Unter der Leitung eines ehemaligen chinesischen Exekutivdirektors beim IWF wurde jüngst in Singapur die Institution gegründet, die in Zukunft die makroökonomische Koordination und Aufsicht im Rahmen eines (ost-) asiatischen Währungsverbunds übernehmen soll (ASEAN+3 Macroeconomic Research Office – AMRO). Ansonsten versuchen sich die asiatischen Länder durch hohe Währungsreserven gegen weltwirtschaftliche Risiken abzusichern und wissen dabei immer weniger, in welcher Währung sie ihre Überschüsse anlegen sollen.
Die Zeichen stehen also eher auf weltwirtschaftliche Fragmentierung als auf koordiniertes Handeln. Die Europäer sollten den IWF im eigenen langfristigen Interesse nicht daran hindern, seine Rolle in der Weltwirtschaft unparteiisch zu spielen. Vom Fonds wird man allerdings erwarten dürfen, dass er eigene Vorschläge zur Lösung der europäischen Krise präsentiert und sich nicht in die Rolle eines stillen Ko-Finanzierers begibt und damit seinen Kritikern aus den Schwellenländern Recht gibt.
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Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn.