acbar_100Kabul. - Am zehnten Jahrestag der NATO-geführten militärischen Intervention in Afghanistan sind die Gesundheitsversorgung und Bildungsangebote sporadisch und häufig von schlechter Qualität. Das ergab eine Meinungsumfrage der Agency Coordinating Body for Afghan Relief (ACBAR), einem Zusammenschluss afghanischer und internationaler Entwicklungsorganisationen. Als Reaktion darauf haben mehr als 120 nichtstaatliche Organisationen (NRO) die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen, die Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember in Bonn zu nutzen, um eine neue Richtung in der Afghanistan-Politik einzuschlagen.

ACBAR befragte Männer und Frauen in 14 der insgesamt 34 Provinzen Afghanistans nach ihrer Situation. Die Interviews zeigen deutlich, dass die Afghaninnen und Afghanen die neu gebauten Kliniken und Schulen zwar begrüßen, sie mit deren Qualität aber weitgehend unzufrieden sind. In den meisten untersuchten Regionen sei keine medizinische Notfallversorgung vorhanden. Zudem führe der Mangel an kompetentem Klinikpersonal regelmäßig zu zum Teil tödlichen Fehldiagnosen. Manche Kliniken seien nur vier Stunden täglich geöffnet, andere blieben sogar tagelang geschlossen.

Obwohl mehr und mehr Kinder die Schulen besuchen, zeigt die Umfrage, dass die Qualität der Ausbildung oftmals sehr unzureichend ist, die Schulen über eine schlechte Ausstattung verfügen, keine Bücher vorhanden sind und der Mangel an Lehrern dazu führt, dass sich Kinder manchmal selbst unterrichten müssen. Die Untersuchung zeigt aber auch, dass eine Vielzahl der Eltern den Willen haben, ihre Kinder, einschließlich der Mädchen, zur Schule zu schicken – sogar im traditionell konservativeren Süden und Osten. "Früher waren wir nicht daran interessiert, unsere Söhne und Töchter auszubilden, weil wir die Wichtigkeit von Bildung nicht verstanden. Aber [jetzt] … wollen wir unsere Söhne und Töchter zur Schule schicken, aber es gibt keine Schulen und keine Lehrer in unserer Region", sagte ein befragter Vater.

"Riesige Summen an internationalen Hilfsgeldern sind nach Afghanistan geflossen – seit 2001 allein 57 Milliarden US-Dollar. Damit wurden wichtige Fortschritte vor allem in urbanen Regionen erreicht. Diese neue Untersuchung aber zeigt das Auseinanderklaffen von Rhetorik und Realität: Hinter den positiven Schlagzeilen zu neuen Kliniken und Schulen verbergen sich die Schicksale der Menschen, die darum kämpfen, Kliniken ohne Medizin und Ärzte zu erreichen, von Schulkindern, die versuchen, ohne Lehrbücher und Klassenzimmer zu lernen", sagte Anna Garella, Direktorin von ACBAR.

Die wachsende Angst vor Gewalt und militärischen Aktionen hindern nach Aussagen von Befragten die Menschen zusätzlich daran, Schulen und Kliniken zu erreichen. Die Untersuchung enthüllt Angriffe auf Mediziner, Lehrer und Schüler, vor allem auf Mädchen, die in den Provinzen im Osten, Westen und Süden auf dem Weg zur Schule belästigt oder entführt werden. Angriffe auf und Durchsuchungen von Kliniken, sowie Straßenblockaden und Kontrollpunkte behindern den Zugang zu Einrichtungen.

In allen Regionen betonten die Afghaninnen und Afghanen ihre Kriegsmüdigkeit nach drei Jahrzehnten im Krieg und äußerten ihren starken Wunsch nach einer friedlichen Beilegung des Konflikts. Diese sahen sie als Dreh- und Angelpunkt für eine Chance auf ein Studium, eine Arbeit und eine bessere Zukunft.

Als Reaktion auf die Sorgen und Anliegen der Afghaninnen und Afghanen hat eine internationale NRO-Koalition an die Außenminister, die sich im Dezember dieses Jahres in Bonn zur Afghanistan-Konferenz treffen werden, appelliert, sich für eine starke und nachhaltige zivile Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan einzusetzen. Statt nur weitere, sichtbare Infrastruktur zu schaffen, sollte der Fokus auf der Verbesserung der Qualität der Leistungen liegen. Die transparente und rechenschaftspflichtige Verwendung der internationalen Gelder sollte sichergestellt werden.

Die Außenminister sollten sich zudem dafür einsetzen, dass Afghanen und Afghaninnen, unabhängig von ihrem Hintergrund, sowie die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle in einem Prozess zur Konfliktbeilegung spielen, fordern die NRO. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Einbeziehung von Frauen gelegt werden. Die Einhaltung der Menschenrechte und die Herstellung von Gerechtigkeit sollten zentrale Elemente jeder Friedensvereinbarung sein.

"Trotz des zehnjährigen internationalen Militär-Einsatzes hat sich die Lebenssituation der Afghaninnen und Afghanen nicht in einem notwendigen Maße verbessert. So ist die Gender- und Trauma-sensible Ausbildung für das medizinische Personal im Gesundheitsbereich nach wie vor völlig unzureichend. Das ist untragbar in einer Gesellschaft, in der nach UNIFEM-Informationen 87% der Frauen regelmäßig geschlagen werden; rund 80% der Patientinnen haben geschlechtsspezifische Gewalt erfahren. Die Ausbildung muss hier erheblich verbessert werden, sonst werden die ohnehin stark traumatisierten Frauen durch fehlerhaftes Verhalten des medizinischen Personals erneut traumatisiert. Zentral ist es zudem der Aufbau eines funktionierenden Justizsystems. Ohne Gerechtigkeit für die Opfer von Gewalt, kann eine Gesellschaft nicht funktionieren", sagte Monika Hauser, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied von medica mondiale Deutschland.

www.acbar.org

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