Duisburg (epo). Von der UN-Sondergeneralversammlung "Kopenhagen plus fünf", die einen Tag später als geplant am vergangenen Samstag in Genf zu Ende gegangen ist, sind keine nennenswerte neuen Impulse zur Armutsbekämpfung ausgegangen. Allein das bereits vorher von der OECD formulierte Ziel, die Anzahl derer, die in absoluter Armut leben, von 1,3 Milliarden Menschen auf rund 650 Millionen zu halbieren, ist als neues Ziel in das dreiteilige Abschlußpapier eingegangen (Teil III, Art. 24). Wie dieses Ziel erreicht werden soll, bleibt im Dokument weitgehend offen. Weder sind verbindliche Zwischenziele formuliert, noch haben sich die Vereinten Nationen auf einen weiteren Folgegipfel geeinigt: Kopenhagen plus 10 wird es nicht geben (vgl. Teil III, Art. 129).
Die enhanced HIPC-Initiative, die Schuldererleichterungen in Höhe von 70 Milliarden US Dollar für die 30 ärmsten Länder vorsieht, wird im Dokument erwähnt (Teil III, Art. 112 a). Allerdings soll die Initiative nach Willen der mehr als 160 Staaten zügiger umgesetzt werden, als das bis jetzt der Fall ist. Zusätzliche finanzielle Mittel lehnten die Geberländer allerdings ab.
Bei den sogenannten Kernarbeitsnormen hat es am Ende doch noch einen Durchbruch gegeben. Doch die Aufnahme der Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) in das Dokument (Teil III, Art. 38a) ist kein formal-juristischer Fortschritt. Denn auch hier gilt: Das Dokument hat allein moralisch-apellativen Charakter. Dazu kommt: Die IAO-Erklärung, die die diese Kernarbeitsnormen anführt (unter anderem auch das Verbot von ausbeuterischer Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund des Geschlechts), muß bereits seit Juni 1998 von allen IAO-Mitgliedsstaaten beachtet werden, selbst wenn sie die einzelnen Konventionen nicht ratifiziert haben. Gleichwohl ist nach Ansicht von Experten aus der deutschen Regierungsdelegation die Aufnahme in das Schlußdokument wichtig, weil sie der Zivilgesellschaft in einigen Ländern des Südens wertvolle Argumentationshilfen gegenüber ihren Regierungen an die Hand gibt.
Globalisierung war das Reizwort der vergangenen Woche. Vor allem die Ländergruppe G 77 mit den Meinungsführern Indien, Pakistan und Ägypten lehnten nach Aussagen eines deutschen Delegationsmitgliedes jeden Formulierungsvorschlag der EU ab, auch die Chancen und Herausforderungen der Globalisierung mit ins Dokument aufzunehmen. Der Artikel 39 (Teil III) kommt im Abschlußdokument nicht mehr vor. Dort war ursprünglich eine Formulierung darüber zu finden, wie Globalisierung sozial gestaltet werden könne. Die Diskussion über eine Öffnung der Märkte im Norden und über die Strategien der Welthandelsorgansiation (WTO) werden auch in den kommenden Monaten nicht abreißen.
Mittwoch, 28.06.2000
Neuer UN-Bericht: "Eine bessere Welt für alle"
Große Ziele/ Aber ist auch der politische Wille zur Umsetzung da?
Genf. "A Better World for All" heißt der Bericht, den UN-Generalsekretär Kofi Annan am Rande der UN-Generalversammlung am Montag vorstellte. Die 26seitige Broschüre ist eine Gemeinschaftsproduktion der UN, der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Der Bericht erneuert die beim Kopenhagener Weltsozialgipfel 1995 festgelegten Ziele der Staatengemeinschaft oder geht sogar noch darüber hinaus. An erster Stelle wird die Notwendigkeit genannt, bis 2015 die absolute Armut weltweit um die Hälfte zu reduzieren. Das heißt: In 15 Jahren soll die Anzahl derer, die mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, von heute 1,2 Milliarden Menschen auf 600 Millionen halbiert werden. Ein neues Ziel gegenüber Kopenhagen. Es folgen 2. der Zugang aller Kinder zu einer Grundschule bis zu diesem Zeitpunkt, 3. die Beseitigung der Diskriminierung von Mädchen und Frauen, 4. die Reduktion der Kindersterblichkeit um zwei Drittel, 5. die Senkung der Müttersterblichkeit bei Geburten um drei Viertel, 6. der Zugang aller zu Basisgesundheitsdiensten und schließlich 7. eine stärkere Berücksichtigung von umweltverträglichen Strategien in Entwicklungsmodellen.
Mit zahlreichen Grafiken und Zahlen wird der aktuelle Stand zu allen sieben Zielen weltweit und in den einzelnen Kontinenten dargestellt. Die Bilanz ist ernüchternd. Besonders alarmierend sind die Zahlen aus den afrikanischen Staaten südlich der Sahara. Dort müssen im Jahr 2000 immer noch 46 Prozent der Bevölkerung mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen (im Vergleich 1995: 48 Prozent), nur rund 60 Prozent aller Mädchen und Jungen besuchen eine Grundschule (1995: 54 Prozent) und auch die Kindersterblichkeit bei den unter Fünfjährigen ging kaum zurück (von 155/1000 auf 151/1000).
Sucht man nach den Ursachen dieses so geringen Fortschrittes, so ist auf der einen Seite die Schuldenmisere vieler extrem armer Staaten zu nennen. In diesem Zusammenhang kommt es jetzt auf eine schnelle Umsetzung der Kölner Schuldeninitiative von 1999 an. Das Beispiel Bolivien zeigt, daß rasche und spürbare Schuldenerleichterungen in Verbindung mit speziellen Armutsbekämpfungs-Programmen funktionieren können. Die Weltbank wird ihre Armutsbekämpfung aber auf eine breitere finanzielle Basis stellen müssen, um mehr Länder zu erreichen. Und sie wird die Zivilgesellschaft auf allen Ebenen in die Gestaltung der Programme einbeziehen müssen, wenn sie Kirchen und NGO?s für die neue, auf Armutsbekämpfung ausgerichtete Politik gewinnen möchte. Für viele Organisationen aus dem Süden klingt PRSP (Poverty Reduction Strategy Papers) zunächst einmal wie Strukturanpassung: Eine vom Norden entwickelte Strategie, die Entschuldung an bestimmte Bedingungen knüpft. Auch wenn das so gar nicht der Fall sein mag ? die Vorbehalte gegenüber HIPC und PRSP sind da. Das haben Gespräche auf der UN-Sondergeneralversammlung verdeutlicht.
Auf der anderen Seite muß man aber auch den politischen Willen zur Veränderung bei zahlreichen Nehmerländern des Südens bezweifeln. Beispiel Äthiopien: Die Regierung hatte während ihres Kriegs gegen Eritrea täglich rund 250 Millionen US-Dollar für neue Granaten und die Versorgung der Truppen herausgepulvert. Der Staat am Horn von Afrika gehört zu den fünf ärmsten Ländern weltweit.
Beispiel Indien: Rund 300 Millionen Menschen leben dort völlig verarmt. Die Kinder in strukturschwachen, ländlichen Regionen haben keinen Zugang zu Grundschulen, es mangelt an Basisgesundheitsdiensten und Zugang zu sauberem Trinkwasser. "Wir haben zwar keine Grundbildung für alle unsere Kinder, aber wir haben jetzt eine Atombombe", brachte es Kailash Satyarthi während einer NGO-Veranstaltung in Genf auf den Punkt. Der Inder hatte 1998 den weltweiten Marsch gegen Kinderarbeit initiiert. Für ihn ist das mangelnde Engagement vieler Länder in die soziale Entwicklung ihrer Bevölkerung keine Frage zu kleiner Staatshaushalte. "Das ist ein Mangel an politischem Willen."
Dienstag, 27.06.2000
Staats- und Regierungschefs kommen vor allem aus dem Süden
HIV und AIDS sind ein Kernthema
Genf. Aus den reichen Ländern des Nordens sind mit Ausnahme Norwegens und Luxemburgs keine Staats- und Regierungschefs in der Generalversammlung vertreten. Luxemburg ist das einzige EU-Mitglied, das einen Regierungschef entsandt hat. Viele Staats- und Regierungschefs aus Afrika südlich der Sahara dagegen nutzen die rund zehn Minuten am Rednerpult für zum Teil leidenschaftliche Appelle an die Delegierten der Staatengemeinschaft. Am Dienstagmorgen machte das junge Staatsoberhaupt des kleinen Königreiches Swasiland, Mswati III., deutlich, daß sein Land in den kommenden Jahren große Herausforderungen zu bestehen habe. Zum Beispiel beim Thema HIV und AIDS. "Diese Krise bedroht die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unseres Landes. Wenn wir jetzt nicht rasch etwas bewegen, werden in den kommenden zehn Jahren 22 Prozent unserer Bevölkerung an den Folgen von Aids sterben. Wir haben den Willen, etwas zu verändern, aber allein schaffen wir das nicht."
Dienstag, 27.06.2000
BMZ sagt zusätzliche 108 Millionen Mark für soziale Grunddienste zu
Genf. Die deutsche Bundesregierung hat während der UN-Sondergeneralversammlung "Kopenhagen plus fünf" deutlich gemacht, daß sie sich verstärkt für die soziale Grunddienste einsetzen werde. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul kündigte in ihrer Rede vor der Generalversammlung am Dienstag morgen an, daß das Ministerium noch im laufenden Haushalt zusätzlich rund 108 Millionen Mark für die soziale Grunddienste ausgeben werde. Das heißt: 108 Millionen Mark mehr für Grundbildung, Basisgesundheitsdienste, Wasserversorgung für die Ärmsten und für den Kampf gegen Mangel- und Unterernährung.
Damit bessert das BMZ seine Bilanz im Rahmen der sogenannten 20:20-Initiative geringfügig auf. Die Staaten hatten sich beim Kopenhagener Weltsozialgipfel vor fünf Jahren auf folgendes Modell verständigt: Geberländer sollten künftig 20 Prozent ihres Entwicklungshilfe-Haushaltes für soziale Grunddienste einplanen, Nehmerländer 20 Prozent ihres Staatshaushaltes. Der BMZ-Haushalt ist mit den sozialen Grunddiensten seit 1997 auf einer Talfahrt. Waren es damals noch 27 Prozent, die die Bonner dafür einstellten, so sind die Zusagen im aktuellen Haushalt 2000 alarmierend niedrig: Für das wesentliche Thema Grundbildung sind gerade mal 2,8 Prozent zugesagt, für Gesundheit (insgesamt) 5,3 Prozent. Gemessen am Haushalt des BMZ (rund 7 Milliarden Mark) sind die jetzt zusätzlich zugesagten 108 Millionen Mark nicht viel mehr als ein Signal.
Die Ministerin machte außerdem deutlich, daß die Bundesregierung den Vorstoß der UN unterstützen werde, die absolute Armut bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Sie erwarte wesentliche Impulse auch von der HIPC-Initiative, die schon Ende dieses Jahres Schuldenerleichterungen für rund 20 hochverschuldete Länder bringen könne.
Montag, 26.06.2000
NGOs und Kirchenvertreter aus dem Süden lehnen HIPC ab
Genf. Die HIPC-Initiative, die Schuldenerleichterungen für die am meisten verschuldeten Staaten dieser Welt vorsieht, wird von vielen Delegierten aus den armen Ländern des Südens als zu kurz greifend abgelehnt. Vertreter von Kirchen und Nichtregierungsorganisationen vor allem aus dem südlichen Afrika brachten während der UN-Sondergeneralversammlung außerdem zum Ausdruck, daß sie alle Bedingungen für einen Schuldenerlaß ablehnten. Das gelte auch für die neuen "Poverty Reduction Strategy Papers" (PRSP?s) der Weltbank. Vor allem die schlechten Erfahrungen mit den IWF-Strukturanpassungsprogrammen der vergangenen Jahre erklären diese Haltung.
Sonntag, 25. Juni 2000
Friedliche Demonstration vor dem Start der UN-Sondergeneralversammlung
Genf. Ein Tag vor dem Start der UN-Sondergeneralversammlung "Kopenhagen plus fünf" ist es ruhig geblieben. Die angekündigten Krawalle vor dem Gebäude der Welthandelsorganisation (WTO) blieben aus. Einige tausend Menschen marschierten aus dem Stadtzentrum zum Platz der Nationen und forderten einen sofortigen Schuldenerlaß für die ärmsten Länder dieser Welt. Die Genfer Behörden hatten sich mit einem großen Polizeiaufgebot in der Innenstadt und vor dem WTO-Gebäude auf die Kundgebung vorbereitet. Hubschrauber kontrollierten die Situation von mittags an. Zu der Kundgebung hatten Dritte-Welt-Gruppen und Gewerkschaften aufgerufen.
Sonntag, 25. Juni 2000
Ökumenischer Gottesdienst mit UN-Generalsekretär Kofi Annan
Genf. An einem ökumenischen Gottesdienst vor Beginn der UN-Sondergeneralversammlung "Kopenhagen plus fünf" nahm auch UN-Generalsekretär Kofi Annan teil. In der mit rund 700 Besuchern vollbesetzten Kathedrale in der Genfer Altstadt sprach sich Annan am Sonntagmorgen für ein stärkeres weltweites Engagement gegen Armut aus: "Es ist ein Affront, daß Kinder nicht zur Schule gehen können, weil die Schulgebühren und die Schulkleidung zu teuer sind. Ebenso, daß Menschen hungern. Im Jubilee-Jahr 2000 ist es an der Zeit, wirksam gegen die Armut vorzugehen. Wenn meine Kinder mich irgendwann einmal fragen werden: ?Papa, was hast Du dagegen getan?? werde ich sagen: ?Ich war in Genf mit dabei.? Vertreter der großen Weltreligionen nahmen an der Feier teil. Buddhisten, Muslime, Juden sowie christliche Vertreter beteiligten sich an einem interreligiösen Gebet.
Sonntag, 25. Juni 2000
Eröffnungsveranstaltung der UN-Sondergeneralversammlung sorgt für Unruhe
Genf. An der Eröffnungsveranstaltung zur UN-Sondergeneralversammlung im Internationalen Konferenzzentrum in Genf am Sonntagabend nahmen Vertreter von Regierungen, Universitäten, Verbänden, Institutionen und Nichtregierungsorganisationen teil. Für Unruhe unter Nichtregierungsorganisationen sorgte die Nachricht über das neue Papier "A Better World for All", das unter anderem vom Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erarbeitet wurde. Das Papier soll Anfang der Woche präsentiert werden. Roberto Bissio von Social Watch sagte am Rande der Veranstaltung, das Papier stelle alle bekannten Zahlen und Aussagen zur sozialen Entwicklung weltweit auf den Kopf.
[Von der UN-Sondergeneralversammlung in Genf (26.-30. Juni 2000) berichtete Kindernothilfe-Redakteur Sascha Decker]