gemuese_150Kassel. - Nahrungsmittel wurden für einen Großteil der armen Weltbevölkerung in den vergangen Jahren fast unbezahlbar. Die Jahreskonferenz des International Center for Development and Decent Work (ICDD) vom 4. bis 6. Juli in Kassel widmet sich dem Thema "Die Nahrungsmittelkrise - Folgen für menschenwürdige Arbeit in ländlichen und städtischen Regionen" und diskutiert Strategien, wie der Krise entgegenzuwirken ist.

Während arme Stadtbewohner in den Entwicklungsländern ihre Ernährung auf die einfachsten Grundnahrungsmittel umstellen müssen, leidet die Landbevölkerung an existentiellem Hunger. Dabei arbeitet die Mehrzahl der Hungernden (mehr als eine halbe Milliarde weltweit) paradoxerweise in der Landwirtschaft.

Während die Ursachen der Explosion der Nahrungsmittelpreise bereits diskutiert und erforscht werden, will die Kasseler Tagung erstmals die Folgen für die Arbeitswelt klären. Eigentlich wäre zu vermuten, dass bessere Preise für Nahrungsmittel die Entwicklungschancen für die Landwirtschaft und die dortigen Arbeitsbedingungen verbessern. Doch die Masse der Lebensmittelproduzenten scheint keinen Vorteil daraus ziehen zu können, da die Erzeuger gegenüber den Einkäufern offenbar zu wenig Verhandlungsmacht haben.

Die südafrikanische Soziologin Jacklyn Cock greift die Problematik in ihrem Eröffnungsvortrag zur Ernährungsunsicherheit in der Millionenmetropole Johannesburg auf. Ihr Beitrag wird die skandalöse Tatsache aufzeigen, dass viele Familien in der immer noch goldfördernden Region sich nicht regelmäßig satt essen können: Jedes vierte Kind weise aufgrund von Unterernährung Zeichen von gehemmtem Wachstum auf.

Neben dem Erbe der Apartheid nennt Jacklyn Cock als Ursache die Kontrolle, die die multinationalen Lebensmittelkonzerne über die Herstellung und Verteilung von Lebensmitteln ausüben. Die geringen Preise, die die Kleinbauern für ihre Agrarprodukte von weiterverarbeitenden Firmen erhielten, trieben sie in die Städte, wo sie von denselben Firmen zu überhöhten Preisen ihre Nahrungsmittel kaufen müssten. Auf diese Weise stellen die Preissteigerungen viele Errungenschaften für menschenwürdige Arbeit in Frage. Denn kann Arbeit als menschenwürdig bezeichnet werden, wenn mit ihrer Hilfe kaum das Existenzminimum gesichert ist? Die Lösung für die Kleinbauern in Johannesburg sieht Cock vor allem in der Stärkung regionaler Landwirtschaft im engen Verbund mit der städtischen Bevölkerung.

Ihr Kollege Edward Webster wird von seiner Forschung über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter in Südafrika berichten. Für ihn symbolisiert das "Gattertor" die Lage dieser Arbeiterinnen und Arbeiter, denn auf den großen Farmen herrschen noch feudalistische Verhältnisse. Wohnten unter der Apartheid die Landarbeiterfamilien noch auf den Farmen, so beschäftigen die überwiegend weißen Farmer heute immer mehr Saisonarbeiter. Deren Ernährungslage ist außerhalb der Erntesaison gleichfalls prekär. So schlägt Webster, der bereits ein Jahr als Gastprofessor in Kassel gelehrt hat, den Bogen von der Ernährungskrise zu den Arbeitsbedingungen, die im Zentrum des Netzwerks des International Center for Development and Decent Work stehen.

Das Machtgefälle entlang der Produktionsketten, mit dem sich die Jahreskonferenz 2012 des ICDD befasst, hat noch nicht Eingang in die Decent-Work-Agenda (Agenda für menschenwürdige Arbeit) der Internationalen Arbeitsorganisation ILO gefunden. Mithilfe der Konferenz versucht das Zentrum somit, richtungsweisende Impulse – nicht nur für die ILO – zu setzen.

www.uni-kassel.de

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