aerzte_ohne_grenzenBerlin. - Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat das juristische Vorgehen des Pharmakonzerns Novartis gegen das indische Patentrecht kritisiert. Ein Erfolg der Klage, die ab Dienstag vor dem Obersten Gerichtshof des Landes verhandelt wird, hätte nach Einschätzung der Organisation verheerende Auswirkungen auf den Zugang von Patienten weltweit zu lebenswichtigen Medikamenten. Indien gilt als "Apotheke der Armen", weil Nachahmer-Medikamente aus indischer Produktion die Versorgung mit bezahlbaren Arzneimitteln sicherstellen.

"Seit nunmehr sechs Jahren versucht Novartis, Indien unter Druck zu setzen. Der Konzern will eine Bestimmung des Patentrechts ändern, die den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten sichert statt des unternehmerischen Profits", sagte Leena Menghaney von der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen in Indien. "Das gegenwärtige Patentsystem in Indien verhindert, dass Pharmaunternehmen Patentmonopole mit immer neuen Patenten auf das gleiche Medikament künstlich verlängern."

Die Klage sei in einer langen Reihe von erfolglosen Prozessen der letzte Versuch des Konzerns, Abschnitt 3d des indischen Patentrechts anzufechten, so Ärzte ohne Grenzen. Die Klausel besagt im Einklang mit internationalen Welthandelsregeln, dass eine neue Formulierung eines bekannten Medikaments lediglich dann ein Patent verdient, wenn sie eine deutlich erhöhte therapeutische Wirksamkeit gegenüber existierenden Wirkstoffkombinationen zeigt.

Die Bestimmung wurde speziell entwickelt, um der gängigen Praxis der Ausweitung von Patentmonopolen für lediglich geringfügige Veränderungen bekannter Wirkstoffkombinationen - "Evergreening" genannt - zu begegnen. Dadurch wird verhindert, dass Pharmafirmen die Preise künstlich hoch halten und somit Patienten in ärmeren Ländern den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten versperren. Auf der Grundlage des Abschnitts 3d wurde laut Ärzte ohne Grenzen im Jahr 2006 einer Patentanmeldung von Novartis für das Krebsmedikament Glivec® nicht stattgegeben. Die Anmeldung habe sich lediglich auf eine neue Formulierung des zu Grunde liegenden Moleküls bezogen, das bereits patentiert gewesen sei, so die Ärzteorganisation.

"Die Bedeutung des Falles für den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten geht weit über Indien und über ein einzelnes Präparat hinaus", sagte Philipp Frisch, Koordinator der Medikamentenkampagne in Deutschland. "Eine zentrale Quelle für bezahlbare Medikamente könnte versiegen, wenn Indien zukünftig gezwungen wäre, deutlich mehr Patente zu gewähren als bislang. Die Ausweitung der Behandlung von HIV/Aids auf inzwischen acht Millionen Menschen ist nur durch generische Medikamente aus Indien möglich geworden. Sie haben den Preis um 99 Prozent gesenkt. Die Klage von Novartis stellt damit eine ernste Gefahr für das Leben von Millionen von Menschen in ärmeren Ländern dar, die auf die bezahlbaren Medikamente aus Indien angewiesen sind."

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