viergrad_100Berlin. - Eine Erwärmung der Erde um vier Grad Celsius, wie sie sich derzeit abzeichnet, muss unbedingt vermieden werden. Extreme Hitzewellen, Missernten, ein Artensterben und ein bedrohlicher Anstieg des Meeresspiegels wären die Folge, warnt die Weltbank in einem neuen Bericht, der vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und von der Berliner nichtstaatlichen Organisation "Climate Analytics" erstellt wurde. "Wir müssen die Erwärmung unter zwei Grad halten", fordert Weltbank-Chef Jim Yong Kim.

Die Welt befinde sich aufgrund steigender Treibhausgas-Emissionen auf einem Kurs, der schon bis zum Ende des Jahrhunderts zu einer Erderwärmung von vier Grad Celsius führen könnte - und somit in eine Welt mit Risiken außerhalb der Erfahrung unserer Zivilisation, heißt es in dem Bericht "Turn Down the Heat: Why a 4°C Warmer World Must be Avoided" (PDF), der am Montag - vier Wochen vor der UN-Klimakonferenz in Doha - veröffentlicht wurde. Betroffen seien vor allem die Armen dieser Welt, für die Entwicklung ohne Klimaschutz nach Lage der Fakten kaum möglich sei.

"Die planetarische Maschinerie neigt zu Bocksprüngen, also unverhältnismäßigen Reaktionen auf Störungen, wie sie der menschengemachte Treibhauseffekt mit sich bringt", betonte Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des PIK. "Wenn wir uns weit über die Zwei-Grad-Linie hinauswagen, also in Richtung vier Grad, laufen wir Gefahr, Kipp-Punkte im Erdsystem zu überschreiten."

Dies könnte bei den weltweit vom Kollaps bedrohten Korallenriffen der Fall sein, oder beim kilometerdicken Eisschild Grönlands. Dessen Schmelze würde Jahrtausende dauern, könnte aber schon bald unwiderruflich beginnen. "Der einzige Weg, dies zu vermeiden, ist ein Bruch mit den vom Zeitalter fossiler Brennstoffe geprägten Mustern von Produktion und Konsum", so Schellnhuber.

Bereits heute seien Folgen des Klimawandels beobachtbar, erklärte das PIK. So habe die Hitzewelle in Russland 2010 vorläufigen Schätzungen zufolge Tausende von Opfern gefordert, die Ernten um ein Viertel verringert, und 15 Milliarden US-Dollar wirtschaftlichen Schaden hinterlassen. Solche Extreme würden bei 4 Grad Celsius globaler Erwärmung in Teilen der Welt "die neue Normalität", heißt es in dem Report. In den Tropen könnten Ende des Jahrhunderts die kühlsten Monate deutlich wärmer sein als die heißesten Monate der Gegenwart.

Der Meeresspiegel kann dem Bericht zufolge bei 4 Grad globaler Erwärmung in diesem Jahrhundert 50 bis 100 Zentimeter steigen, und danach noch deutlich höher. Dabei sei dieser Anstieg regional unterschiedlich stark, dies hänge von Meeresströmungen und anderen Faktoren ab. Am höchsten wird das Meer den Projektionen zufolge an den Küsten von Ländern wie den Philippinen, Mexiko und Indien steigen.

Auch innerhalb von wirtschaftlichen Sektoren kann es zu Kippeffekten mit plötzlich rasant ansteigenden Schäden kommen, etwa in der Landwirtschaft, warnt der Bericht. So sei bereits beobachtet worden, dass wichtige Getreidesorten ab bestimmten Temperaturen überaus empfindlich reagieren, was zu großflächigen Ernteausfällen führen könne. Veränderungen im Wasserkreislauf könnten hierbei erschwerend hinzukommen, etwa wenn Dürren vorherrschen oder landwirtschaftliche Flächen überflutet werden.

"Der Report arbeitet den gegenwärtigen Stand der Forschung auf und liefert neue Analysen zu Hitzewellen und zum regionalen Meeresanstieg. Natürlich bleiben hierbei Unsicherheiten", erklärte William Hare, Mitbegründer von Climate Analytics in Berlin und Gastwissenschaftler am PIK. "Wir greifen das auf, indem wir Risiko definieren als 'Schadenspotenzial multipliziert mit der Eintritts-Wahrscheinlichkeit'. Auch ein relativ unwahrscheinliches Ereignis kann ein großes Risiko darstellen, wenn seine möglichen Auswirkungen groß genug sind."

Der neue Weltbank-Chef Jim Yong Kim, seit Juli im Amt, hatte sich kürzlich von Schellnhuber persönlich in Washington D.C. den Bericht vorstellen lassen. "Eine vier Grad wärmere Welt kann und muss vermieden werden – wir müssen die Erwärmung unter zwei Grad halten", betonte Kim nun in einer Erklärung. "Untätigkeit gegenüber dem Klimawandel droht, die Welt, die unsere Kinder von uns erben, zu einer ganz anderen zu machen als jene, in der wir heute leben. Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen für die Entwicklung, und wir müssen die moralische Verantwortung dafür übernehmen, im Namen kommender Generationen zu handeln, besonders für die Ärmsten."

"Der Weltbank-Bericht ist ein klimapolitischer Weckruf", erklärte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) am Montag in Berlin. "Er belegt, dass die internationale Gemeinschaft ihr Engagement im Kampf gegen den Klimawandel beschleunigen und intensivieren muss. Insbesondere die Entwicklungsländer und die Ärmsten der Armen wären von einer stärkeren Erderwärmung massiv betroffen. Das Zeitfenster für den dringend nötigen Wandel hin zu einer kohlenstoffarmen und klimaresilienten Entwicklung schließt sich. Alle Entwicklungspartner müssen sich mehr anstrengen. Die aktuellen globalen Verpflichtungen nur der Industrieländer, Treibhausgas-Emissionen zu vermeiden, reichen nicht aus, um den Klimawandel einzudämmen. Wir sind weit davon entfernt, den globalen Temperaturanstieg auf das in den Klimaverhandlungen anerkannte Ziel von weniger als 2 Grad Celsius bis 2050 zu begrenzen."

www.pik-potsdam.de
www.worldbank.org