Berlin. - Anlässlich des Treffens des Rates Justiz und Inneres der EU hat ein breites gesellschaftliches Bündnis von PRO ASYL, Diakonie Deutschland, Paritätischem Wohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt, Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Deutschem Anwaltverein und Neuer Richtervereinigung eine grundlegende Neuausrichtung der Verantwortungsteilung für Flüchtlinge in der EU gefordert. Die EU-Staaten an den Außengrenzen seien überfordert und die Flüchtlinge blieben häufig schutzlos, kritisiert das Bündnis.
Angesichts des "Stillstandes in der EU bei der Weiterentwicklung hin zu einer humaneren Flüchtlingspolitik" legten die Organisationen am Donnerstag ein Memorandum mit dem Titel "Flüchtlingsaufnahme in der Europäischen Union: Für ein gerechtes und solidarisches System der Verantwortlichkeit" vor. Es soll eine Debatte darüber anstoßen, wie Europa künftig mit Flüchtlingen umgehen will. Viele Asylsuchende blieben trotz Ankunft auf dem "sicheren Boden" der EU schutzlos und seien gezwungen, in dem für sie zuständigen EU-Land zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren.
Beim Treffen des Rates Justiz und Inneres am 7./8. März wird der Ausbau der Kontrolle der EU-Außengrenzen durch sogenannte "Smart Borders" weiter vorangetrieben – während die Abstimmung über die Reform des "Gemeinsamen Europäischen Asylsystems" auf Eis liegt. Die unterzeichnenden Organisationen appellieren an Rat und Europäisches Parlament, die Zeit bis zur im Sommer erwarteten Abstimmung zur Neuregelung des EU-Asylzuständigkeits-Regelwerkes (der Dublin-Verordnung) zu nutzen: Statt der geplanten Reform von Dublin II zu Dublin III, die die Grundstrukturen der Zuständigkeitsverteilung nicht antaste, sei eine grundlegende Neuausrichtung der EU-Flüchtlingspolitik erforderlich, um die Krise des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu überwinden.
Das Memorandum zeige die tiefgreifende Krise der europäischen Asylpolitik, erklärte das Bündnis der NGOs. Ursache sei das Dublin-System, das den EU-Staaten an den Außengrenzen die Verantwortung für die Asylverfahren zuweist. Diese würden überproportional beansprucht und seien vielfach überfordert. Die Folge: Flüchtlinge würden in Ländern wie Griechenland, Italien, Ungarn und Malta zu Obdachlosen gemacht, erlebten schlimmste Armut und Übergriffe. Vielfach würden sie völkerrechtswidrig inhaftiert. All dies führe zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen.
In Bezug auf Griechenland hatten der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof und der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Jahr 2011 verbindlich festgestellt, dass Flüchtlinge aus menschenrechtlichen Gründen von anderen EU-Staaten aus dorthin nicht abgeschoben werden dürfen.
Mit dem Memorandum machen die unterzeichnenden Organisationen einen eigenen Vorschlag für einen menschenrechtlichen Umbau des Dublin-Systems: Das heutige maßgebliche Kriterium für die Asylzuständigkeit – der "Ort der illegalen Einreise" - müsse gestrichen werden. An seien Stelle solle das "Prinzip der freien Wahl des Mitgliedstaates" treten. Asylsuchende sollten also selbst bestimmen können, in welchem Land der EU sie den Antrag auf Schutzgewährung stellen und ihr Asylverfahren durchlaufen möchten.
Für einen solchen Systemwechsel sprechen aus der Sicht des Bündnisses mehrere Gesichtspunkte: Das Prinzip der freien Wahl werde dazu führen, dass Asylsuchende dort hingehen, wo sie die Unterstützung ihrer Familien oder Communities erhalten. Dies sei nicht nur für die Flüchtlinge von Vorteil, sondern führe auch dazu, dass sie sich besser integrieren und zurechtfinden könnten. Außerdem könnten Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen vermieden werden, wenn diese nicht länger zum Aufenthalt in Ländern gezwungen werden, die weder ein ordentliches Asylsystem noch ein Mindestmaß an menschenwürdiger Behandlung für sie bereithalten.
Aber auch pragmatische Aspekte sprächen für eine solches Konzept: Wenn Asylsuchende nicht in EU-Staaten abgeschoben werden, in die sie nicht wollen, werde verhindert, dass sie von einem EU-Land ins nächste wandern. Die sogenannte Sekundärwanderung innerhalb der EU werde vermieden. Kosten für bürokratische Verfahren zur Überstellung von einem Land ins andere würden reduziert. Die unter Umständen entstehenden Ungleichgewichte in der Auslastung der Mitgliedstaaten könnten durch einen Europäischen Ausgleichsfonds korrigiert werden.