msfBerlin. - Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat bestätigt, dass bei dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien tausende Menschen mit Vergiftungserscheinungen in Krankenhäusern behandelt werden. Danach haben Mitarbeiter dreier Krankenhäuser im Gouvernement Damaskus berichtet, am vergangenen Mittwoch seien innerhalb von drei Stunden rund 3.600 Patienten mit neurotoxischen Symptomen eingeliefert worden. 355 von ihnen seien gestorben. Die US-Regierung prüft derweil die Optionen für ein mögliches Eingreifen in Syrien.

Ärzte ohne Grenzen hat arbeitet nach eigenen Angaben mit medizinischen Netzwerken, Krankenhäusern und improvisierten Kliniken im Gouvernement Damaskus zusammen und liefert ihnen Medikamente, medizinische Ausrüstung und technische Geräte. Wegen erheblicher Sicherheitsrisiken hätten Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen diese Einrichtungen bislang aber nicht selbst aufsuchen können. Auch medico international leistet über Partner vor Ort medizinische Hilfe im Großraum Damaskus.

"Medizinisches Personal, das in diesen Einrichtungen arbeitet, hat Mitarbeitern von Ärzte ohne Grenzen detaillierte Informationen über eine große Zahl von Patienten mit Symptomen wie Krämpfen, übermäßiger Speichelbildung, stark verengten Pupillen, verschwommenem Blick und Atemnot zukommen lassen", sagte Dr. Bart Janssens, Leiter der Projektabteilung von Ärzte ohne Grenzen am Samstag in Brüssel.

Die Patienten wurden Ärzte ohne Grenzen zufolge mit Atropin behandelt, einem Medikament, das bei neurotoxischen Symptomen verwendet wird. Die Hilfsorganisation hatte die Krankenhäuser in den vergangenen Monaten vorsorglich damit ausgestattet. Da das Medikament nun aufgebraucht sei, versuche die Organisation, den Vorrat wieder aufzufüllen und zusätzliches medizinisches Material zu liefern.

Syrien - Mapbox

"Ärzte ohne Grenzen kann weder die Ursachen dieser Symptome nach wissenschaftlichen Kriterien bestimmen noch ermitteln, wer für einen möglichen Angriff verantwortlich ist", erklärte Janssens. "Doch die beschriebenen Symptome der Patienten zusammen mit dem epidemiologischen Muster der Ereignisse – ein massiver Zustrom von Patienten in kurzer Zeit, der Aufenthaltsort der Patienten vor der Einlieferung, die Kontaminierung von medizinischem Personal und Ersthelfern – deuten stark auf einen massenhaften Kontakt mit einem neurotoxischen Stoff hin. Das könnte auf eine Verletzung des humanitären Völkerrechts hindeuten, das den Gebrauch von chemischen und biologischen Waffen komplett verbietet."

Zusätzlich zu den 1.600 Ampullen mit Atropin, die Ärzte ohne Grenzen den Krankenhäusern bislang zur Verfügung gestellt hatte, hat die Organisation nun 7.000 weitere Ampullen für Gesundheitseinrichtungen in dem Gebiet auf den Weg gebracht. Die Behandlung von Patienten mit neurotoxischen Symptomen werde nun in alle medizinischen Programme von Ärzte ohne Grenzen in Syrien integriert.

"Ärzte ohne Grenzen hofft, dass unabhängige Ermittler sofortigen Zugang bekommen, um herauszufinden, was passiert ist", sagte Christopher Stokes, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Belgien. "Die humanitäre Situation in Syrien ist katastrophal – sie ist gekennzeichnet durch extreme Gewalt, Vertreibung und die absichtliche Zerstörung medizinischer Einrichtungen. Bei solch deutlichen Verletzungen des humanitären Völkerrechts können humanitäre Organisationen nicht effizient Hilfe leisten."

Ärzte ohne Grenzen leistet in Syrien auf zwei verschiedene Arten medizinische Hilfe. Zum einen betreiben internationale und syrische Mitarbeiter der Organisation sechs Krankenhäuser und vier Gesundheitszentren im Norden Syriens selbst. In Gebieten, in die Ärzte ohne Grenzen wegen mangelnder Sicherheit oder verwehrtem Zugang keine eigenen Teams schicken kann, hat die Organisation in den vergangenen zwei Jahren ein Programm aufgebaut und ausgeweitet, das syrische medizinische Netzwerke, Krankenhäuser und Behelfskliniken mit Medikamenten, medizinischem Material und technischer Unterstützung versorgt. Auf diese Weise hat Ärzte ohne Grenzen nach eigenen Angaben bislang 27 Krankenhäuser und 56 improvisierte Behandlungseinrichtungen in ganz Syrien unterstützt.

Bis Ende Juni 2013 haben Teams von Ärzte ohne Grenzen in Syrien mehr als 55.000 Konsultationen und 2.800 Operationen durchgeführt und mehr als 1.000 Geburten begleitet. Mitarbeiter der Organisation haben darüber hinaus mehr als 140.000 syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern behandelt.

Die syrische Regierung wies die Vorwürfe zurück, sie sei für den Giftgas-Einsatz verantwortlich. Sie habe "niemals Chemiewaffen in Syrien eingesetzt", erklärte Informationsminister Omran al-Sohbi einem libanesischen Fernsehsender.

Die US-Regierung ließ am Samstagabend (Ortszeit) nach einem Treffen von Präsident Barack Obama mit seinem Sicherheitsstab verlauten, die US-Geheimdienste seien weiter dabei, Fakten zu Hergang und Ursache des Vorfalls zu prüfen. Obama sei eine Liste möglicher Optionen für das Vorgehen der US-Regierung und der Vereinten Nationen vorgelegt worden.



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