deutsche zusammenarbeit 150Bonn. - Die nächste Bundesregierung sollte nach Dafürhalten des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) die Kooperation im Bereich der Entwicklung neu strukturieren und ein "Ministerium für Globale Entwicklung" schaffen. Das haben die Wissenschaftler Jörg Faust und Dirk Messner vorgeschlagen. Zuvor hatten die Hilfswerke terre des hommes und Welthungerhilfe für die neue Legislaturperiode ein "Ministerium für internationale Zusammenarbeit und globale Nachhaltigkeit" gefordert. Die Böll-Stiftung tritt für die Einrichtung einer Enquete-Kommission des Bundestages ein, um "intensiv über deutsche Politik in internationaler Verantwortung nachzudenken".

Alle Vorschläge laufen auf eine kohärenter ausgerichtete deutsche Politik in ihren verschiedenen Auswirkungen auf die Länder des Südens hinaus. Bislang konterkarieren sich die Ministerien gegenseitig: Während das Entwicklungsministerium (BMZ) armen Kleinbauern und kleinen Unternehmen beispielsweise in Westafrika unter die Arme greift, subventionieren das Landwirtschaftsministerium und die EU-Kommission Billig-Exporte von Geflügel nach Westafrika, die dortige Produzenten in den Ruin treiben. Die EU subventioniert europäische Fischfang-Flotten, die die Küsten Westafrikas leerfischen, während das BMZ die Opfer dieser Politik, arme Küstenfischer, unterstützen muss - sofern sie nicht in wackeligen Boot versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, um in Europa ihr Glück zu suchen.  

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Das DIE argumentiert, Außenpolitik und Entwicklungspolitik wüchsen immer stärker zusammen, "weil Fragen globaler Entwicklung immer mehr zu zentralen außenpolitischen Herausforderungen werden". Lange habe Entwicklungspolitik in der Zusammenarbeit mit Ländern bestanden, die am Rand der Weltwirtschaft und -politik standen und für die sich in der Bundesregierung nur das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) interessierte.

GRENZEN ZWISCHEN ENTWICKLUNGS- UND AUSSENPOLITIK LÖSEN SICH AUF

messner dirk 100"In der alten Entwicklungspolitik ging es primär um Armutsbekämpfung, humanitäre Hilfe, Unterstützung kränkelnder Ökonomien", so Faust und DIE-Chef Messner (Foto). Durch die Brille außenwirtschaftlicher und geopolitischer Interessen seien die meisten dieser Partnerländer "schlichtweg uninteressant" gewesen. Doch diese alten Grenzziehungen zwischen Entwicklungs- und Außenpolitik lösten sich heute auf.

Die Zahl der ärmsten Länder der Welt, so das DIE, habe sich in den vergangen 15 Jahren auf etwa 35 halbiert. Und zwar auf jene Staaten, in denen die Menschen meist durch Bürgerkriege, Gewalt und hochgradig korrupte Strukturen ihrer Existenzgrundlage beraubt werden: "Armut und Unsicherheit gehen hier eine unheilvolle Symbiose ein." Zwar lebten in diesen Staaten "nur" noch ein Drittel der weltweit ärmsten Menschen; etwa 350 Millionen. Doch seien diese Länder mittlerweile auch von hoher Relevanz für die Außenpolitik, denn oft seien "scheiternde Gesellschaften" Ausgangspunkt für regionale Krisen und Kriege und globale Bedrohungen.

Zweitens leben zwei Drittel der Armen nun in der wachsenden Gruppe wirtschaftlich dynamischer Länder, die deshalb zunehmend eigene Mittel in ihre Entwicklung investieren können, argumentiert das DIE. Traditionelle Entwicklungspolitik werde für Indien, Brasilien oder Vietnam daher immer unwichtiger. Zugleich seien viele dieser Schwellenländer aber wichtige Akteure für unsere Außen-, Sicherheits-, Klima- und Außenwirtschaftspolitiken und sie seien Mitglieder in der G20. "Die Weltordnung verändert sich rapide."

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Drittens hat das Geschäftsmodell der alten Entwicklungspolitik aus der Sicht der DIE-Wissenschaftler in den "Partnerländern" einen radikalen Legitimationsverlust erlitten. "Selbst wenn Entwicklungspolitik gut gemeint ist und gut gemacht wird, begünstigt sie langfristig dennoch Paternalismus und die latente Arroganz der Helfer, Experten und Finanziers. Weder Staaten noch Menschen sehen sich gern über Jahrzehnte in der Rolle von Bittstellern und 'Nehmern'. Das akzeptieren sie umso weniger, wenn sie längst selbst zu Gebern geworden sind. Indien und China finanzieren Hilfsprojekte, während die OECD-Welt sich in der schwersten Krise seit den 1930er Jahren befindet. Die Euroländer kämpfen gegen Verschuldungskrisen, während Schwellenländer hohe Devisenreserven aufhäufen."

DAS POLITIKFELD SCHRUMPFEN

Entwicklungspolitik, davon sind Messner und Faust überzeugt, steht jetzt an einem Scheideweg. Die skizzierten Dynamiken könnten die Schlussfolgerung nahe legen, das Politikfeld zu "schrumpfen". Entwicklungspolitik könnte sich auf die 25-35 ärmsten Länder der Welt konzentrieren, die strukturell noch auf Hilfe von Außen angewiesen sind. Das BMZ könnte dann sukzessive verkleinert oder ins Auswärtige Amt integriert werden, um Armutsbekämpfung, die Stabilisierung schwacher Staaten und die Sicherheitspolitik in den schwierigsten Entwicklungsländern zusammenzuführen. Aus dynamischen Entwicklungs- und Schwellenländern würde sich Entwicklungspolitik dann zurückziehen.

Das DIE sieht aber noch einen vierten Trend: "Während die Zahl extrem armer Länder sinkt, gewinnen Fragen globaler Entwicklung, die über die weltweite Armutsbekämpfung hinausgehen, immer stärker an Bedeutung. Im 21. Jahrhundert wird der Schutz globaler Gemeinschaftsgüter zu einem Schlüsselthema internationaler Politik. Das gilt für den klimaverträglichen Umbau der internationalen Energiesysteme, den Schutz der Weltmeere, der Biodiversität und anderer Elemente des Erdsystems, die Stabilisierung weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, internationale Wissenschafts- und Technologiekooperationen sowie originär politische Themen wie Demokratisierung und Stabilisierung schwacher Staaten – z. B. im arabischen Raum."

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Diese Herausforderungen, so das DIE, "folgen nicht dem alten Geber-Nehmer-Muster". Beim Schutz globaler Güter, auf die alle Staaten in einer eng zusammen gewachsenen Weltgemeinschaft angewiesen sind, stünden gemeinsame Interessen und wechselseitige Verantwortlichkeiten im Zentrum, "nicht überholte Nord-Süd-Paternalismen". Doch gebe es in diesen zentralen Feldern internationaler Zusammenarbeit deutlich mehr Blockaden als Fortschritte. "Es wiegt schwer", beklagen Messner und Faust, "dass es in unserer Ministerienlandschaft an starken Akteuren fehlt, die sich um diese Zukunftsagenda aus der Perspektive deutscher, europäischer und zugleich globaler Perspektive kümmerten".

AN GEMEINSAMEN INTERESSEN AUSRICHTEN

Die nächste Bundesregierung sollte deshalb ein "Ministerium für globale Entwicklung" schaffen, das sich auf die drängendsten globalen Entwicklungsherausforderungen konzentrieren könne, fordern Faust und Messner. Dabei gehe es nicht länger nur um Entwicklungsprobleme in Entwicklungsländern, "sondern vor allem um die Stärkung wechselseitiger Verantwortung und eine explizite Ausrichtung an gemeinsamen Interessen". Eine solche Stoßrichtung würde nach der Überzeugung der Experten auch helfen, überkommene Pathologien der alten "Geber- und Nehmerwelt" aufzubrechen und die Beziehungen zwischen Deutschland und den Schwellen- und Entwicklungsländern den realen Gegebenheiten anzupassen. "Die Entwicklungs- und Schwellenländer müssten in einem solchen Kontext ihre Beiträge zu globaler Entwicklung sichtbar machen, anstatt die Verantwortung für die globalen Fragen einseitig auf die OECD-Länder abzuschieben."

Aber auch Deutschland und andere OECD-Länder müssten Zugeständnisse machen, so das DIE. Während Entwicklungspolitik ganz selbstverständlich als Instrument zur Mitgestaltung der nationalen Politiken, z. B. der Energiepolitiken Indiens oder Chinas, verstanden werde, sträubten sich die Industrieländer, ihre eigenen Entwicklungsstrategien von den Entwicklungs- und Schwellenländer auf die Probe stellen zu lassen.

"Gemeinsame Interessen" zur Sicherung der globalen Gemeinschaftsgüter hieße aber beispielsweise, dass Abkommen und Unterstützungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen in China oder Vietnam an entsprechende Treibhausgas-Effizienzziele in Deutschland geknüpft würden. "Es wäre eine politische Innovation in der internationalen Kooperation, wenn von den OECD-Ländern unterstützte und gewollte Politikreformen in den Entwicklungs- und Schwellenländern mit parallelen Politikreformen in ihren eigenen Ländern verknüpft würden", so die Wissenschafter.

Transparentere wirtschaftspolitische Prozesse und die hierfür notwendigen Reformen seien nicht nur in den Ländern des Südens, sondern auch im Norden notwendig. In der Klimapolitik könnten indische Mittelschichten und Entscheidungsträger hohe Energieeffizienzstandards – an denen die Bundesregierung interessiert ist – eher akzeptieren, wenn Deutschland im Gegenzug nicht weiter ambitionierte Energieeffizienzziele der EU blockierte.

WECHSELSEITIGE VERANTWORTUNG ANERKENNEN

"Ein solches Eingeständnis wechselseitiger Verantwortung ist die Grundlage für neue Politikpakete und würde die Einbahnstraßenlogik der alten Entwicklungspolitik aufbrechen", erklären Faust und Messner.

"Ein Ministerium für globale Entwicklung wäre also nicht einfach nur ein vergrößertes BMZ", heißt es in der "Aktuellen Kolumne" des DIE. "Es käme vielmehr einer Neugründung gleich, die darauf ausgerichtet wäre, eine neue globale Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer Interessen zu schaffen, die den Anforderungen zur nachhaltigen Nutzung unserer globalen Gemeinschaftsgüter und den veränderten Kräfteverhältnissen in der Weltwirtschaft gerecht wird.

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Messner und Faust halten ihren Vorschlag des Wandels in der entwicklungspolitischen Ausrichtung für besser als Überlegungen, die internationale Armutsbekämpfung in das Auswärtige Amt einzugliedern und die anderen globalen Entwicklungsfragen den jeweiligen Sektorministerien zu überlassen. "Erstens hätte die Armutsbekämpfung in einem starken Ministerium für globale Entwicklung weiterhin und zu Recht eine hohe Bedeutung, während sie im Auswärtigen Amt viel direkter mit vielen anderen, gewichtigen Interessen konkurrieren müsste und deshalb an Gewicht verlieren könnte. Zweitens begünstigt die existierende Zersplitterung der Zuständigkeiten für zentrale globale Entwicklungsfragen auf viele Ressorts, dass diesen Themen im Kabinett insgesamt zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Die Stärkung der globalpolitischen Kompetenzen der Sektorressorts könnte nur in einem langwierigen Lernprozess gelingen. Die Gründung eines Ministeriums für globale Entwicklung, das sich auf die zentralen Weltprobleme konzentrierte, wäre daher ein kürzerer und kostengünstiger Pfad."

MEHR KOHÄRENZ UND EINE ENQUETE-KOMMISSION

unmuessig barbara 100Barbara Unmüßig (Foto), Vorstandsvorsitzende der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung (HBS), und der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und Internationale Politik von Bündnis 90/Die Grünen, Michael Kellner, schlagen für eine Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit zwei Maßnahmen vor. "Erstens sollten wir kurzfristig über die Mittelvergabe mehr strategische Kooperation zwischen den Ministerien erzwingen. Mittel für zivile Krisenbearbeitung oder Klimaschutz sollten gepoolt werden: Sie könnten nicht mehr von einem einzelnen Ministerium ausgegeben werden, sondern nur wenn in einem gemeinsamen Lenkungskreis programmatische Einigkeit besteht."

Dies würde den Druck erhöhen, "ressortübergreifende Strategien zu beschließen. Unabhängige Begleitung und nichtstaatliche Expertise könnte zudem hilfreich sein, den Blick für Zielkonflikte und Kohärenz zu schärfen."

Zweitens solle in der nächsten Legislaturperiode im Rahmen einer Enquete-Kommission des Bundestages intensiv über deutsche Politik in internationaler Verantwortung nachgedacht werden: "Die Kommission soll das nach außen gerichtete Handeln der Bundesrepublik Deutschland unter den veränderten Rahmenbedingungen einer globalisierten Welt untersuchen. Sie soll eine kritische Bilanz der gegenwärtigen Arbeitsstrukturen von Bundesregierung und Bundestag ziehen und Anpassungen dieser Strukturen mit dem Ziel größerer Kohärenz und Konsequenz der deutschen internationalen Politik vorschlagen."

"Grafiken": Skizzen von epo.de-Redaktionsleiter Klaus Boldt über die künftige Ausrichtung des BMZ ;-)

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