beyond aid medicoFrankfurt a.M. - Medico international, das Institut für Sozialforschung an der Goethe-Universität Frankfurt, die Heinrich-Böll-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung haben am Freitag die Zweite Frankfurter Hilfe-Konferenz eröffnet. Bei der Konferenz "Beyond Aid" auf dem Uni-Campus in Frankfurt am Main geht es um die Frage, welche Formen der Solidarität, der Kooperation und der Unterstützung jenseits von Mildtätigkeit und "Hilfe zur Selbsthilfe" in einer globalisierten Welt nachhaltige Veränderungen bewirken können.

Medico-Gründer Thomas Gebauer warf einleitend die Frage auf, warum vier Jahre nach der Erdbeben-Katastrophe in Haiti - und trotz des massiven Einsatzes einer regelrechten Hilfe-Industrie - noch immer Hunderttausend Menschen ohne Perspektive sind. Die nichtstaatlichen Hilfsorganisationen müssten sich in einem "Prozess des Reflektierens" selbstkritisch hinterfragen, ob sie trotz aller guten Absichten nicht dazu beitragen, "den Zeitraum der Missstände zu verlängern".

Axel Honneth vom Institut für Sozialforschung der Goethe-Universität hatte zuvor den theoretischen Rahmen der Konferenz abgesteckt: Nach dem Zeitalter der "als Hilfe daherkommenden Entwicklungspolitik" gebe es "beyond aid" im wesentlichen zwei Konzepte und deren "Tücken":

  • Solidarität in der Tradition der französischen Revolution ("Brüderlichkeit") als gegenseitige Hilfe in Notlagen. Sie basiere auf einem wechselnden Geflecht gegenseitiger Abhängigkeit. Solidarität auf Gegenseitigkeit sei aufgrund des massiven Gegensatzes zwischen Arm und Reich aber eine "Chimäre".
  • ein "staatsübergreifendes Menschenrecht" auf Hilfe. Die Umsetzung universaler Menschenrechte müsse freilich in Ermangelung einer global wirksamen neutralen Instanz ("die UNO ist es gewiss nicht") scheitern.

Thomas Gebauer zufolge fehlt es an einer "institutionell abgesicherten Solidarität". Auch philanthropische Kapitalisten wie Bill Gates seien keine Alternative - ihre Mildtätigkeit führe allenfalls zu einer "Refeudalisierung der Verhältnisse". Unter den NGOs habe zudem ein betriebswirtschaftliches Denken Einzug gehalten, das "Hilfe zum Selbstzweck" und Investitionen und deren Erträge zum Maßstab für Erfolg mache.

Die "neoliberale Idee der Eigenverantwortung" der Armen wiederum dient Gebauer zufolge der Strategie, "Arme als Entrepreneure" zubegreifen, die man mit Mikrokrediten in den Unternehmerstatus befördern und so "entwickeln" kann.

Folgt man der Argumentation der Journalisten Kathrin Hartmann und Gerhard Klas, führt die Mikrofinanzindustrie zu einer Integration der "Armen" in die Marktwirtschaft, die ungewollte Folgen zeitigt. Rund die Hälfte der Kreditnehmerinnen und -nehmer gerieten in eine Schuldenspirale und stünden durchschnittlich bei fünf oder mehr Banken in der Kreide. International tätige Banken und Konzerne, die "soziale Unternehmen" und Startups fördern, könnten so neue Märkte erobern. Dies seien lukrative "Investitionen in die nachhaltige Ressource Armut".

Der Münsteraner katholische Theologe Michael Ramminger erinnerte daran, wie im biblischen Gleichnis vom barmherzigen Samariter beschrieben seien Hilfe und Mitleid "zutiefst menschlich". Verantwortung für den Nächsten zu übernehmen erschöpfe sich heutzutage aber darin, auf Spendenaufrufe von Hilfsorganisationen zu reagieren, statt Solidarität von Gesellschaft und Staat einzufordern. Diese "Privatisierung der Verantwortlichkeit" mache es logischerweise unmöglich "die Verhältnisse anzugreifen". Menschenrechte würden aber nicht im politischen Diskurs ausgehandelt, sondern "in einem Akt des Aufstandes" erkämpft. Hilfsorganisationen müssten sich deshalb sehr viel stärker einmischen.

Die Frankfurter Hilfe-Konferenz widmet sich insbesondere der Frage, wie - nicht zuletzt mit Blick auf die laufenden Verhandlungen über eine "Post-2015"-Agenda - Hilfe in einer globalisierten Welt künftig aussehen kann. "Hilfe, die von außen übergestülpt wird, bleibt Sozialtechnik. Notwendig ist vielmehr, gemeinsam mit Akteuren, die sich aufgemacht haben, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen, bestehende Unrechtsverhältnisse zu skandalisieren und auf Veränderung zu drängen", heißt es im Programm-Flyer zur Konferenz (Download als PDF). Dabei werden Konzepte und Begriffe wie der vor allem in Lateinamerika geprägte Begriff des buen vivir, der Begriff der global commons (der Gemeingüter) und der Begriff einer sozialen Infrastruktur diskutiert.

Eine ausführliche Dokumentation der Veranstaltung, die bis Samstag andauert, gibt es unter www.medico.de/beyondaid

Beyond Aid Programmheft: www.medico.de/media/beyond-aid-programmheft.pdf

Twitter-Hashtag: #beyondaid

Fotos: http://ow.ly/user/rosaluxstiftung

Video-Livestream der Konferenz bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung
http://www.rosalux.de/mediathek/livestream.html

medico-Blog: http://medico.de/blogs/medico-hausblog/2014/02/21/439/

Weitere Infos:

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