beyond aid medicoFrankfurt a.M. - Am Ende herrschte Aufbruchstimmung - nicht nur, weil die rund 500 Teilnehmer der 2. Frankfurter Hilfe-Konferenz "Beyond Aid" nach Hause wollten. Initiator Thomas Gebauer von medico international konstatierte ein "unglaubliches Geschehen" und sah im Verlauf der Konferenz einen "Auftrag an die Organisatoren". Denn viele, vor allem auch junge Menschen, wollen einen Neuanfang in Sachen "Entwicklungshilfe". In Zeiten der Globalisierung, in deren Gefolge Armut und Verschuldung auch in den Industriestaaten Einzug halten und Schwellenländer zunehmend im Entwicklungsbereich tätig werden, scheint das Geber-Nehmer-Verhältnis der letzten Jahrzehnte Makulatur zu werden.

"Desaster is coming home", beschrieb Gebauer die fortschreitende Schere zwischen arm und reich in vielen Ländern des Nordens. Von einem "globalen Süden", der sich in Nachfolge der Industrieländer wirtschaftlich entwickeln soll, kann nicht mehr die Rede sein. In diesem Kontext müsse Hilfe verortet werden, meinte Gebauer: "von der Wohltätigkeit zur Solidarität". Zum Auftakt hatte Axel Honneth vom Institut für Sozialforschung der Goethe-Universität bereits den theoretischen Rahmen der Konferenz abgesteckt.

Konferenzteilnehmer und Organisatoren - neben medico international das Institut für Sozialforschung an der Goethe-Universität Frankfurt, die Heinrich-Böll-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung - waren sich weitgehend einig: Jenseits der unmittelbaren humanitären Hilfe gilt es eine gemeinsame Sprache und Strategie zu entwickeln, um sich das ökonomische und politische Terrain, das derzeit von Konzernen und "Investoren" besetzt ist, zurückzuerobern. Vor allem um "Hilfe, Rechte einzufordern" gehe es künftig, meinte Thomas Gebauer. Helfer und Hilfsbedürftige müssten zu "globalen Citoyen" werden.

Um Bürgerrechte weltweit durchzusetzen, muss sich, so Gebauer, der professionelle wie unprofessionelle Helfer der Zukunft die "transnationalen Vernetzung lokaler Widerstandsnetze" auf die Fahnen schreiben. Barbara Unmüßig, Vorstandsvorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, wünschte sich "Denkräume für Strategien gegen globale Krisen".  Solidarität müsse im 21. Jahrhundert neu definiert werden, gewohnte Produktions- und Konsummuster geändert werden. In allen Projekten im Ausland sollte die Macht- und Herrschaftsperspektive immer mit einbezogen werden.

Unmüßig sieht "Solidarität heute" darin vorortet, den Kampf unterprivilegierter Menschen gegen Ungerechtigkeit zu unterstützen, Alternativen der Globalisilerung zu entwickeln und gemeinsame Werte und "commons" zu stärken. Es müsse "Schluss sein mit technokratischen Entwicklungsmodellen", zu denen auch die Post-2015 Agenda zählt.

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von links: Wilfried Telkämper, Barbara Unmüßig, Lisa Herzog, Thomas Gebauer. Foto: ©epo.de

INTERNATIONALISMUS RELOADED?

Wilfried Telkämper, Leiter der Auslandsabteilung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, erinnert an die letzten größeren theoretischen Grundsatzdebatten progressiver Entwicklungspolitiker: den Internationalismus-Kongress 1984 in Kassel, und den medico-Kongress "Macht und Ohnmacht der Hilfe", der 2003 in Frankfurt stattgefunden hatte. "Wir müssen hier die Verhältnisse ändern", lautete sein Fazit. Die Entwickungspolitik müsse neu ausgerichtet werden. "Das Entwicklungsministerium darf keine neoliberale oder Mittelstands-Förderungspolitik betreiben." Auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) könnten "eine andere Politik machen".

Die Philosophin Lisa Herzog vom Institut für Sozialforschung (IfS) sah vor allem "drei Dilemmata" als Ergebnis der Debatten: (1) das Dilemma der Ergebnisorientierung können zu falschen Wegen und "funding traps" führen; (2) das Dilemma der Staatlichkeit werfe die Frage auf, wer die "Märkte" zähmen und Rechte durchsetzen könnte; (3) das "Dilemma der Privilegierten" schließlich mache deutlich, dass "alle Anwesenden unter die Top 1% der Privilegierten dieser Welt zu zählen" seien. Echte Solidarität zu schaffen könne auch bedeuten, auf manche Privilegien verzichten zu müssen.

Bei der Konferenz "Beyond Aid" auf dem Uni-Campus in Frankfurt am Main (20.-22.2.) ging es insbesondere um die Frage, welche Formen der Solidarität, der Kooperation und der Unterstützung jenseits von Mildtätigkeit und "Hilfe zur Selbsthilfe" in einer globalisierten Welt nachhaltige Veränderungen bewirken können. Schon der Proramm-Flyer war programmatisch: "Hilfe, die von außen übergestülpt wird, bleibt Sozialtechnik. Notwendig ist vielmehr, gemeinsam mit Akteuren, die sich aufgemacht haben, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen, bestehende Unrechtsverhältnisse zu skandalisieren und auf Veränderung zu drängen." (Download als PDF). Konzepte und Begriffe wie der vor allem in Lateinamerika geprägte Begriff des buen vivir, der Begriff der global commons (der Gemeingüter) und der Begriff einer sozialen Infrastruktur wurden auf der Konferenz heiß diskutiert.

Eine ausführliche Dokumentation der Veranstaltung gibt es in Kürze bei medico unter www.medico.de/beyondaid und bereits jetzt bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Beyond Aid Programmheft: www.medico.de/media/beyond-aid-programmheft.pdf

Twitter-Hashtag: #beyondaid
Fotos: http://ow.ly/user/rosaluxstiftung
medico-Blog: http://medico.de/blogs/medico-hausblog/2014/02/21/439/

Weitere Infos:

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