Mougatshi. - Flirrendes Glück liegt in der Luft zwischen der Bambushütte und dem kleinen Stall. Rehana Begum strahlt über das ganze Gesicht. "Joya wird satt, wenn ich sie stille", sagt sie. In diesem schlichten Satz verdichtet sich ihr neues Leben. Ihre zweimonatige Tochter Joya auf dem Arm holt Rehana einen kleinen Sack Reis aus der Hütte und zeigt ihn stolz Peter Dietzel. Der Geschäftsführer der hessischen Organisation NETZ ist seit 33 Jahren regelmäßig in Bangladesch unterwegs.
Er kennt unzählige Geschichten von Müttern, deren Säuglinge jede Stunde schreien, weil die Milch so dünn ist, die sie ihnen geben können. Doch Rehana berichtet: "Früher hatten wie nie einen Lebensmittelvorrat zu Hause, heute gibt es bei uns jeden Tag drei Mahlzeiten". Ihr Mann Abdul bewegt sich flink auf Händen und dünnen Beinen über den unebenen Lehmboden vor der Hütte. Dicke Hornhaut schützt seine Knie. Mit einem Rollstuhl könnte er auf den holperigen Pfaden hier im Dorf nichts anfangen, muss Dietzel unwillkürlich denken. "Seit wann haben Sie die Behinderung?", erkundigt er sich. "Als ich Drei war, hatte ich Kinderlähmung", erzählt Abdul, "seither sind meine Beine missgebildet". In der Schule war er nie, genauso wenig wie seine Frau, antwortet er auf Nachfrage. "Wie hat Ihre Familie dann überlebt?" hakt der Besucher aus Wetzlar nach. "Ich zog bettelnd von Haus zu Haus. An vielen Tagen blieb der Teller leer. Oft hatten wir nur eine Schale Reis und etwas Salz. Sonst nichts", sagt Abdul. Nach einer kurzen Pause fügt er mit einem selbstsicheren Lächeln an: "Das ist jetzt vorbei". Nun putzt und füttert er jeden Tag drei Kühe, welche die Familie inzwischen besitzt, kümmert sich um die zehn Hühner und zwei Enten, sowie um das Gemüsegärtchen am Haus.
Das Dorf Mougatshi, in dem Familie Begum lebt, liegt im Norden Bangladeschs. Hunger und Unterernährung sind hier weit verbreitet. Vor zwei Jahren hat NETZ das Dorf in sein Programm "Ein Leben lang genug Reis" aufgenommen. Entwickelt hat der gemeinnützige Verein das Projekt gemeinsam mit der Bevölkerung und lokalen Partnerorganisationen. Dietzel, der von Anfang an dabei war, erläutert: „In den Familien, die wir aufnehmen, liegt das Pro-Kopf Einkommen unter 28 Euro-Cent pro Tag. Unterstützt von einem einheimischen Dorfentwicklungshelfer stellt jede Familie einen Entwicklungsplan auf. Die Frauen nehmen an Schulungen teil und erhalten ein Startkapital, etwa eine Rikscha oder Material für eine Bambusflechterei.“ Rehana Begum lernte Viehhaltung, Gemüseanbau und Vermarktung. Dann erhielt sie eine Kuh, Material für den Stall, fünf Hühner, Gemüsesamen. Die Kuh mästete und verkaufte sie. Den Gewinn investierte sie erneut. Auf dem Dach ihrer Hütte wachsen jetzt Kürbisse, vor der Bambuswand Tomaten und Auberginen. Ihre zwölf Hühner und Enten lässt sie regelmäßig impfen. Wöchentlich treffen sich die Frauen in einer Dorfgruppe, um sich gegenseitig zu unterstützen und mit dem Dorfentwicklungshelfer ihre Anliegen zu diskutieren. Im Anschluss an das Treffen geht er von Haus zu Haus und berät die Frauen.
Nicht alle Teilnehmer am Projekt sind Bettler. Viele Familien verdingen sich als Tagelöhner auf den Feldern der Bauern, für umgerechnet 1,50 Euro am Tag. Arbeit gibt es jedoch nur sechs Monate im Jahr. Ein Viertel der Projektteilnehmerinnen sind allein erziehende Mütter. Allen gemeinsam ist, dass sie kein eigenes Land besitzen. Durch das Projekt "Ein Leben lang genug Reis" erzielen die Menschen ein dauerhaftes Einkommen und können selbst für Nahrung, Kleidung, Gesundheitsversorgung und die Bildung ihrer Kinder aufkommen. Die eigene Leistung macht die Menschen selbstbewusst. Nach Erhebungen schaffen es 85 Prozent der Projektteilnehmer, innerhalb von drei Jahren selbstständig ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Über 150.000 Menschen in Bangladesch haben sich seit Beginn des Programms im Jahr 2002 bereits nachhaltig aus dem Hunger befreit.
Finanziert wird das Projekt durch Spenden sowie durch Zuschüsse des deutschen Entwicklungshilfeministeriums und der Europäischen Union. Eine Spende von 65 Euro hilft einer Familie, den Hunger zu überwinden. Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen hat NETZ das Spendensiegel „geprüft und empfohlen“ verliehen. Es steht für einen sorgsamen Umgang mit Geldern, die der Organisation anvertraut werden. "Viele Privatpersonen, Schulen, Unternehmen und Kirchengemeinden aus dem heimischen Raum wie aus dem ganzen Bundesgebiet beteiligen sich an der Solidaritätsaktion zugunsten der Menschen in Bangladesch", berichtete Peter Dietzel.
Jedes Jahr trifft er bei seinen Einsätzen vor Ort hunderte Frauen, um von ihnen zu erfahren, wo sie die Stärken und Schwächen des Programms sehen. Darauf aufbauend planen die Mitarbeiter vor Ort und in Deutschland weitere Verbesserungen und die Ausweitung in neue Dörfer. Dietzel ist überzeugt: "Hunger darf nicht sein. Es gibt genügend Nahrungsmittel für alle Menschen auf der Welt. Und in Bangladesch gibt es wirkungsstarke Konzepte der Selbsthilfe." Rehana Begum in Mougatshi ist eine von zehntausenden Frauen, welche die Chance nutzen, die ihnen die Unterstützung aus Deutschland bietet. Ihr Leben hat sich durch das Projekt entscheidend verändert: "Noch nie war ich so glücklich wie jetzt", sagt sie und holt die Handsichel aus ihrer Hütte, um am Wegrand Gras für ihre Kühe zu sammeln.
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Quelle: http://bangladesch.org/en.html