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Berlin. - Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München die Auswirkungen des Freihandelsabkommens TTIP auf Schwellen-und Entwicklungsländer untersucht. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) will so beweisen, dass auch Entwicklungsländer - durch mehr Wachstum in den USA und in der EU - von der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft profitieren.  "Wir wollen ökologische und ökonomische Mindeststandards für die gesamte Welt setzen," sagte Müller bei einer TTIP-Informationsveranstaltung in Berlin. Nichtstaatliche Organisationen und Oppositionspolitiker kritisieren die Studie. Denn im Wesentlichen werden nur Großunternehmen in der Lage sein, die Vorgaben der EU in den Handelsbeziehungen zu erfüllen.

Auf Einladung von Entwicklungsminister Müller hatten Gäste des diplomatischen Korps sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft am Mittwoch über die möglichen Auswirkungen der TTIP auf Schwellen- und Entwicklungsländer diskutiert. Dabei wurde die vom BMZ in Auftrag gegebene Studie des ifo-Instituts vorgestellt. Das Interesse an dem Thema war groß, auch Botschaftsvertreter aus 33 Ländern nahmen teil.  

Müller forderte in seiner Eröffnungsrede, die Interessen der Entwicklungs- und Schwellenländer in der Diskussion um das geplante Handelsabkommens zu berücksichtigen: "Wir müssen die Entwicklungsländer am Diskussions-und Gestaltungsprozess des TTIP-Abkommens beteiligen und es so gestalten, dass sie vom Handel noch stärker profitieren als bisher und ihre berechtigten Sorgen ernst genommen werden. Wir sind mitten im Gestaltungsprozess und sollten die Chance nutzen, jetzt offen und transparent zu diskutieren und Verhandlungsvorschläge einzubringen." Bislang fanden die TTIP-Verhandlungen im Geheimen statt. Erst auf Druck der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Medien wurden Teile der Verhandlungsdokumente veröffentlicht.

Unter Bezugnahme auf eine Oxfam-Studie räumte Müller ein, dass die Handelsliberalisierung in den letzten 20 Jahren eher negative Auswirkungen auf Entwicklungsländer hatte. Fortschritts- und Wachstumsmodelle müssten überdacht werden, sagte Müller. Die Wirtschaft solle dem Menschen dienen.  

Müller glaubt aber, dass TTIP es ermöglicht, globale ökologische und soziale Mindeststandards zu setzen. Bezüglich Transparenz und Offenheit seien Fehler gemacht worden, nur mit Teilhabe könne man Akzeptanz erreichen. Entwicklungsländer sollten als Partner in den Handel einbezogen werden. "Wir sitzen alle in einem Boot."

DIE-STUDIE IGNORIERT

Warum Müller eine weitere Studie in Auftrag gab, obwohl das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE), der Think Tank des BMZ, bereits am Thema arbeitete und im Januar ein Briefing-Paper dazu herausgab, ist unklar. Das DIE jedenfalls kommt zu dem Ergebnis, das TTIP-Abkommen sei aus entwicklungspolitischer Sicht "bedenklich" und werde "ungewisse bis negative" Auswirkungen auf die Entwicklungsländer haben.

"Mit TTIP versuchen sich die europäischen Industrieländer und die USA an der Festlegung neuer, potenziell global gültiger Spielregeln für die Weltwirtschaft. Aus einer entwicklungspolitischen Perspektive ist dieser exklusive Ansatz bedenklich, da er Schwellen- und Entwicklungsländer von den Verhandlungen ausschließt."

Die Autoren Axel Berger und Clara Brandi halten zudem fest:

"Die TTIP-Verhandlungsagenda umfasst weit mehr als nur den Abbau von Handelsbeschränkungen, sondern z. B. auch die Regeln für grenzüberschreitende Investitionen und ein breites Spektrum von Regulierungen, die oft nur entfernt etwas mit klassischer Handelspolitik zu tun haben. Diese expansive Verhandlungsagenda ist die eigentliche Innovation der transatlantischen Verhandlungen – mit ungewissen Folgen für all diejenigen Länder, die nicht am Verhandlungstisch sitzen. Denn sie werden sich, ob sie wollen oder nicht, an diesen Regeln orientieren müssen,wenn sie am Welthandel teilnehmen möchten."

WELTHANDEL

Nach Angaben der Welthandelsorganisation (WTO) betrug der Wert des gesamten Welthandels im Jahr 2013 18,8 Billionen US-Dollar. Exportweltmeister war China, gefolgt von den USA und Deutschland. 70 Prozent der Welt-Güterexporte bewegen sich zwischen den USA, der Europäischen Union und Japan. Der Handel zwischen den USA und der EU entspricht ca. 30% des globalen Handelsvolumens. Anders ausgedrückt, zwischen EU und USA werden jeden Tag Waren und Dienstleistungen im Wert von ca. 2 Mrd. EUR ausgetauscht.

Die Importe aus aus den USA in die EU beliefen sich 2013 auf ca. 206 Millionen Euro. Dies entspricht, nach Angaben der Europäischen Kommission, 11,5 % aller Importe in die EU. Auf der anderen Seite wurden Waren und Dienstleistungen im Wert von ca. 292 Millionen Euro in die USA exportiert. Dies sind 17,3% der Gesamtexporte der EU. Die Vereinigten Staaten sind das wichtigste Exportland für die EU, noch vor China und der Schweiz. Auch für die Vereinigten Staaten ist die EU wichtigster Handelspartner, vor Kanada und China.

Von Rohstoffen abgesehen, importieren die EU Staaten laut ifo-Institut aus Entwicklungsländern mehr als die USA, Kanada, Japan und China zusammengenommen. Aber auch die USA sind für die Entwicklungsländer ein wichtiger Markt.

MÖGLICHE AUSWIRKUNGEN AUF ENTWICKLUNGS-UND SCHWELLENLÄNDER 

Die vom BMZ in Auftrag gegebene Studie des ifo-Instituts, in der neun Länder (Bangladesch, Brasilien, Elfenbeinküste, Indonesien, Kenia, Marokko, Mexiko, Südafrika und Türkei) dahingehend untersucht wurden, ob TTIP entwicklungspolitische Ziele kompromittiert, kommt zu dem Ergebnis: "Einerseits sollten höhere Einkommen in der EU und den USA die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen der Drittstaaten steigern, was letzteren zugute kommt. Anderseits ist damit zu rechnen, dass das Abkommen Handelsströme der TTIP- Partner von den Drittstaaten weg lenkt, was ihnen schadet. Per saldo wird es unter den Entwicklungsländern Gewinner, aber auch Verlierer geben. Für beide Gruppen sind die Effekte allerdings klein. Und es existieren zahlreiche Stellschrauben, um die Gruppe der Gewinner möglichst groß werden zu lassen."

Die Auswahl der neun "entwicklungspolitisch interessanten Länder" wird in der Studie nicht weiter erklärt.

Nach Angaben des ifo-Instituts exportieren viele Entwicklungsländer Güter, die in den TTIP-Ländern mit hohen Zöllen belastet sind (z.B.Textilien, Schuhe, verarbeitete Lebensmittel). Zwar sind sie in der Regel durch von EU und USA einseitig gewährte Handelserleichterungen (Allgemeine Präferenzsysteme, Alles außer Waffen-Initiative u.Ä.) von Zöllen befreit, aber die Abschaffung der Zölle für den Handel zwischen der EU und den USA erodiert laut ifo-Institut diese Zollpräferenz und kann für Entwicklungsländer zu Marktanteilverlusten in TTIP -Ländern führen (Präferenzerosion). Dieser Effekt könne das Vordringen in wertschöpfungsintensive Bereiche der industriellen Produktionsketten erschweren.

Das ifo-Institut räumt ein, dass regulatorische Kooperation (wie es zwischen den USA und Kanada bereits gibt) innerhalb der TTIP auch Nachteile für Entwicklungsländer bringen könnte. Standards, die für die EU und die USA optimal sind, müssen nicht auch für ärmere Länder von Vorteil sein. Daher müsse im Rahmen der TTIP darauf geachtet werden, dass die transatlantische "regulatorische Kooperation" die Anliegen der Entwicklungsländer auf faire Weise berücksichtigt. 

Genau diese Forderungen nach Mindeststandards sind es, die von Vertretern der Zivilgesellschaft kritisiert werden.

TTIP DIENT GROSSUNTERNEHMEN

Die Europäische Kommission erweckt den Eindruck, sie würde sich in internationalen Handelsgesprächen für Umweltinteressen, Arbeitsstandards und entwicklungspolitische Ziele einsetzen. "Doch die Realität sieht anders aus. Die EU vertritt in der Außenhandelspolitik in erster Linie die Exportinteressen europäischer Unternehmen," so David Hachfeld von Oxfam. Kleinbauern, so Hachfeld zurecht, werden nicht in der Lage sein die Standards der EU und USA zu erfüllen. Das können sich nur große Konzerne leisten. Es seien die großen Konzerne, für die TTIP maßgeschneidert worden sei, erklärte auch Sabine Stephan, Ökonomin beim Insitut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Der Direktor der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission, Marc Vanheukelen, bestätigt das auch. Der Wegfall von nicht-tarifären Handelshemmnissen im transatlantischen Raum biete große Wachstumschancen für exportorientierte Unternehmen aus Drittstaaten, also alle Länder mit Ausnahme der USA und der EU-Staaten. Vanheukelen verteidigt TTIP damit, dass nicht alle Themen die Handelspolitik berührten. "Überschätzen sie nicht die Macht von TTIP, das Abkommen kann nicht für alles Leid auf der Welt verantwortlich gemacht werden". Damit stehe es auch nicht in der Verantwortung von TTIP die globale Ungleichheit aufzufangen oder Ressourcenverbrauch zu mindern.

Der Unterschied zur Position der NGOs ist nur, dass die Europäische Kommission darin kein Problem sieht. Europäische Wirtschaftsinteressen sind damit abgedeckt, ob das konträr zu europäischer Entwicklungspolitik läuft ist nebensächlich.  

SCHWAMMIGE EU-POSITION

Der Vertreter der EU-Kommission widerspricht sich selbst. Einerseits sieht er die EU und die USA nicht in der Verantwortung für die Auswirkungen von TTIP auf Entwicklungsländer. Andererseits behauptet er, die Länder des Südens würden von TTIP sogar profitieren: "Mit TTIP wird es für Exporteure aus Entwicklungsländern in vielen Fällen nur noch eine zu produzierende Norm geben. Das vereinfacht ihr Leben und ist eine große Goldgrube", so Vanheukelen.

Würden im Rahmen des transatlantischen Handelsabkommens lediglich die Zölle abgeschafft, wären die Auswirkungen auf die transatlantischen Handelsbeziehungen relativ gering, da die Zölle in den meisten Bereichen bereits sehr niedrig sind.

EMPFEHLUNGEN DES IFO-INSTITUTS:

Damit TTIP für möglichst viele Entwicklungsländer zu einem Erfolg wird empfiehlt das ifo-Institut, dass das Abkommen:

  • auf komplexe Ursprungsregeln so weit wie möglich verzichten,
  • die gegenseitige Anerkennung von transatlantischen Standards möglichst weitgehend auf Drittstaaten ausdehnen,  
  • den Entwicklungsländern Informationsrechte über die Arbeit der geplanten Regulierungsräte einräumen,  

  • die Umleitung protektionistischer Maßnahmen auf "TTIP-Outsider" verhindern, und  

  • eine glaubwürdige Perspektive für die zukünftige Teilnahme von Dritt- und Entwicklungsländern entwickeln soolte.


Um zur Entwicklung einer fairen Welthandelsordnung beizutragen, muss laut ifo-Institut die langfristige EU-Außenhandelsstrategie darauf ausgerichtet werden, dass:  

  • die Zölle und Handelsbarrieren für besonders relevante Exportgüter (z.B. Textilien, Schuhe, Baumwolle, Tabak) weiter agesenkt werden,  

  • die Entwicklungsländer bei der Bildung eigener regionaler Freihandelsabkommen politisch und technisch unterstützt werden,

  • die bestehenden Handelsabkommen zwischen der EU und diversen Entwicklungsländern ausgebaut werden,  

  • die Einbindung der Entwicklungsländer in die globalen Wertschöpfungsketten mit geeigneten entwicklungspolitischen Instrumenten gefördert werden und  

  • die Rolle der WTO als effektiver Anwalt kleiner und armer Staaten  gestärkt wird


KRITIK AN DER STUDIE

Es wird deutlich dass es darum geht, den Welthandeln nach europäischen und amerikanischen Regeln zu gestalten. Rücksichtnahme für Interessen von Entwicklungsländern ist nicht vorgesehen.

Die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries (SPD) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bestätigt dies. TTIP diene dazu, den europäischen Einfluss zu stärken, europäische Standards zu verbreiten und gemeinsam mit den USA ein Gegengewicht zu China zu bilden. China und die USA stellten sich auf einen Wettlauf um den Welthandel ein und TTIP sei eine Reaktion darauf. TTIP-Kritiker werden von Zypries auf eine Webseite des Wirtschaftsministeriums verwiesen, auf der die TTIP Verhandlungen und Positionen veröffentlicht worden sind.

Das Konzept, dass das prognostizierte Einkommenswachstum von knapp 3% in den USA und der EU die Nachfrage nach Gütern aus Entwicklungsländern stimulieren (spill-over), ist umstritten. Aber genau das sollte nach den Ergebnissen des ifo-Instituts dazu führen, dass Entwicklungsländer von TTIP profitieren. Nach Angaben der Hans Böckler Stiftung ist fraglich, ob TTIP überhaupt einen positiven Effekt auf die Einkommen in USA und EU hat. Bezogen auf das Jahr 2027 rechnet die Europäische Kommission je nach Szenario mit einem zusätzlichen Wachstum zwischen 0,27% und 0,48% bzw. zwischen 48,4 und 86,5 Mrd. € des realen Nationaleinkommens für die EU und zwischen 0,21% und 0,39% (33 bis 65 Mrd. €) für die USA. Das Centre for Economic Policy Research , das ein breites Spektrum an Perspektiven vertritt, errechnete höhere BIP-Zuwächse, und zwar bis zu 119 Mrd. € für die EU und knapp 95 Mrd.€ für die USA im ambitionierten Szenario. Die bilateralen Exporte der EU würden dabei um 28% und die der USA um rund 37% ansteigen.

Die Zahl zum weltweiten Pro-Kopf-Einkommen sei ein statistischer Durchschnittswert, der jedoch regional sehr unterschiedlich ausfallen werde, sagte Thieß Petersen von der Bertelsmann-Stiftung Anfang 2014 der Deutschen Welle. Er sagte auch: "Besonders stark profitieren die USA und Europa. Der Rest der Welt hat Nachteile". Dabei ist die Bertelsmann Stiftung nicht dafür bekannt TIPP zu kritisieren.

Abgesehen davon, dass die Zivilgesellschaft verlangt, TTIP auf Kompatibilität mit der Entwicklungszusammenarbeit hin zu überprüfen, sollte es laut der neuesten Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) auch im Interesse der Wirtschaft sein wachsende Ungleichheit aufzuhalten.

Auch Christa Randzio- Plath, ehemalige Europaabgeordnete (SPD) und stellvertretende Vorsitzende des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO), glaubt nicht, dass die Auswirkungen auf Entwicklungsländer so klein sind wie in der ifo-Studie dargestellt. Sie wies auch darauf hin, dass Entwicklungsländer vom Handel ausgeschlossen werden, da sie nicht in der Lage sind Standards einzuhalten. "Die TTIP-Verhandlungen sind Teil einer neuen Weltordnung und nicht so harmlos, wie es dargestellt wird. Entwicklungszusammenarbeit muss kohärent sein mit anderen Politiken."

Francisco Marí, Agrarexperte von Brot für die Welt, ist ein Dorn im Auge, dass bei Studien wie der von Felbermayr die Landwirtschaft kaum eine Rolle spielt - in vielen Entwicklungsländern immer noch der wichtigste Wirtschaftszweig. "Und genau dort gibt es die höchsten Zölle", betont Marí. Er erwartet, dass die Bauern in Entwicklungsländern im Rahmen von TTIP noch weniger konkurrenzfähig sein werden als jetzt und von der Überproduktion in Europa und den USA überrollt werden.

ENTWICKLUNGSLÄNDER NICHT VERTRETEN

Auf dem Panel bei der TTIP-Informationsveranstaltung hat niemand ein Entwicklungsland repräsentiert. Einer der geladenen Gäste, Ray Medhurst von der Südafrikanischen Botschaft, meldete sich zu Wort und sagte zu TTIP: "There is not much we can do." Das Land exportiert seit etwa hundert Jahren Zitrusfrüchte nach Europa und erst in den letzten drei Jahren war es zu Einfuhrproblemen gekommen. Südafrika werde sich auf regionale Handelsabkommen fokussieren, sowie die G20.

Der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen, Uwe Kekeritz, kritisierte TTIP als "zynische Politik der 60er Jahre". Drittländer müssten beispielsweise bei der Erarbeitung von Produktstandards einbezogen werden und dürften ihren bevorzugten Zugang zum europäischen und US-Markt nicht verlieren. Entwicklungsländer in dem Abkommen nicht zu berücksichtigen, fördere die Abhängigkeit der armen Länder des Südens von den reichen Ländern. "TTIP droht der Demokratie die soziale und ökologische Kontrolle über den Binnenmarkt zu entziehen“, warnt der grüne EU-Parlamenterarier Sven Giegold.

=> TTIP (EU)
=> TTIP Leak

Studien:


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