Thesen zu einer Erweiterten Friedens- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland in Afrika - September 2003

Von Uschi Eid und Helmut Asche

Afrika war in den letzten Monaten so oft wie selten zuvor in den Schlagzeilen. Die Nachrichten von der mühsamen Eindämmung eskalierender Kämpfe im Kongo und in Liberia, das Drama der Entführung europäischer Touristen in der Sahara, zuvor die positiven Nachrichten vom G8-Gipfel in Evian, der sich Afrika ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt hatte: All das hat in Deutschland jüngst eine Afrika-Debatte ausgelöst, die durch die Entsendung von Bundeswehrsoldaten im Zuge des Kongo-Konflikts erst richtig angefacht wurde. Die Debatte ist an sich erfreulich, aber ihr fehlt die Richtung, gerade in Bezug auf ihr zentrales Thema: Die angemessene Rolle der Bundesrepublik auf dem afrikanischen Kontinent, dessen Zukunft außer von der eigenen Reformfähigkeit stark vom Engagement der internationalen Staatengemeinschaft und damit auch Deutschlands abhängen wird - und von dessen Zukunft wir weit mehr abhängen werden, als wir hierzulande bislang glaubten.

Bislang schwankt die Diskussion vorzugsweise zwischen zwei Polen:

  • Auf der einen Seite die Sichtweise "Finger weg von Afrika!", in der Afrika wahlweise für deutsche Interessen zu unbedeutend oder aber mit all seinen Konflikten zu groß für die deutschen politischen Wirkungsmöglichkeiten erscheint, ohne dass die eigenen Interessen, Ziele und Mittel wirklich ernsthaft abgewogen werden;
  • auf der anderen Seite ein humanitär-pazifistisch motiviertes Lager, das die Vernachlässigung Afrikas beklagt, ohne alle Konsequenzen auf den Tisch zu legen, die eine andere politische Grundeinstellung mit sich bringen würde.

Tatsächlich machen die jüngsten Ereignisse deutlich: Eine Debatte um eine neue afrikapolitische Doktrin der Bundesrepublik ist überfällig. Und in dieser Auseinandersetzung müssen auch Fragen gestellt werden, die weder manchem Sicherheitspolitiker klassischen Zuschnitts noch allen entwicklungspolitisch Engagierten gefallen werden.

Freundliche Vernachlässigung

Deutsche Afrikapolitik war seit dem Ende der Hallstein-Doktrin, welche die Welt noch in Freunde und Feinde der DDR unterteilte, und endgültig nach dem Ende des Kalten Krieges durch freundliche Vernachlässigung gekennzeichnet. Zwar erhält Afrika südlich der Sahara seit vielen Jahren den größten Anteil der deutschen Entwicklungshilfe. Dies ist gut und wichtig. Aber Entwicklungszusammenarbeit ist für Frieden, politische Stabilität und für wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt selbst in Afrika nicht ausschlaggebend. Entwicklungspolitik auch in Afrika wirkt nur als eine Komponente in einem Komplex abgestimmter Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik, in dem diese letzteren Elemente eine viel höhere Wertigkeit als in der Vergangenheit bekommen.

Welch dramatische Folgen die Vernachlässigung Afrikas durch die ganze internationale Gemeinschaft hat, dafür bildeten bereits die Ereignisse in Somalia ab 1992 und in Ruanda 1994 zwei tragische Marksteine: In Somalia scheiterte eine Intervention von US-Truppen mit deutscher militärischer Unterstützung mangels eines politischen Konzepts. Als Konsequenz nahm die internationale Gemeinschaft kurz darauf den Völkermord in Ruanda faktisch tatenlos hin. Der Ruf nach aktiver politischer Vermittlung ging damals aus beiden Lagern in Ruanda auch und gerade an Deutschland. Die Bundesrepublik ist diesem Ruf nie gefolgt.

Diese Reaktion war typisch: Bedingt durch das geringe wirtschaftliche Interesse Deutschlands an Afrika und den auf andere Weltgegenden konzentrierten außenpolitischen Verstand gab es bisher ein ziemlich eklatantes Auseinanderklaffen von humanitärem Engagement einerseits, außen- und sicherheitspolitischer Vernachlässigung andererseits. Wir ziehen aus der Ereigniskette der letzten Jahre den Schluss, dass dies sowohl aus moralischen Gründen, aber auch aus wohlverstandenen eigenen Interessen Deutschlands nicht mehr tragbar ist und eine neue Prioritätensetzung erforderlich wird. Viele Länder Afrikas sind in internationale Netzwerke des Drogen- und Waffenhandels, des Diamantenschmuggels, der Schlepperbanden von Flüchtlingen sowie womöglich der Terror-Unterstützung eingebunden. Diese Netzwerke können nur wirksam bekämpft werden, wenn der Westen sich künftig auch in afrikanischen Ländern weit stärker für Frieden, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Prosperität einsetzt. Auch der islamisch geprägte Krisengürtel von Indonesien über Afghanistan bis zu den Maghreb-Staaten, den der deutsche Außenminister im Zentrum des europäischen Sicherheitsinteresses sieht, setzt sich südlich der Sahara fort.

Damit die Stabilisierung der Region gelingen kann, ist eine neue Afrikapolitik erforderlich, in der unserer Meinung nach auch Deutschland eine andere Rolle spielen sollte. Die Ausgangslage hierfür bilden drei widersprüchliche Phänomene: Erstens sind reformwillige Staaten Afrikas jüngst zu einer gemeinsamen wirtschafts- und friedenspolitischen Initiative angetreten, die eine einmalige historische Chance darstellt; zweitens sind im Kontrast dazu mehrere lang anhaltende Konflikte auf dem Kontinent eskaliert und nur vorläufig unter Kontrolle gebracht, was noch deutlicher zeigt, dass der Aufbruch zu neuen Ufern nur gelingen wird, wenn auch die westlichen Staaten in Afrika stärker stabilisierend wirken. Das aber sollte aus verschiedenen Gründen drittens vorzugsweise multilateral geschehen, denn schon macht sich unter diesen Staaten ein neuer Unilateralismus auch gegenüber Afrika breit , der vor allem auf die Schwäche afrikanischer Sicherheitsstrukturen und die zögerliche Haltung der internationalen Gemeinschaft gegenüber Afrika zurückgeht. Dass sich dann Großbritannien, Frankreich oder die USA allein zur Intervention aufgefordert sehen, ist die Konsequenz daraus - mit einigen positiven, aber auch allen negativen Implikationen.

G8 Afrika-Aktionsplan unterstützen

Afrikas reformwillige Staaten haben jüngst zwei Reforminitiativen auf den Weg gebracht, die bei erfolgreichem Verlauf eine neue Ära für den Kontinent einleiten könnten: Erstens die Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung, kurz NePAD. Darin erkennen die afrikanischen Staaten deutlicher als je zuvor die Eigenverantwortung für die Entwicklung ihrer Länder an. Die wollen sie forciert durch gute Regierungsführung und wirtschaftliche Reformen wahrnehmen, und dazu sind sie erstmals bereit, das heilige Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung aufzugeben.

Zum zweiten haben die afrikanischen Reformstaaten vor wenigen Wochen auf dem Gipfel in Evian gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs der G8 einen Plan verabschiedet, der eine völlig neue Grundlage für eine Friedenspolitik auf dem Kontinent schaffen soll: Ziel ist es, bis zum Jahr 2010 mit Unterstützung der G8 eine afrikanische Eingreiftruppe von 3000 bis 3500 Soldaten aufzustellen, mit der die afrikanischen Staaten künftig selbst unter UNO-Mandat effektiver als bisher bei gewalttätigen Konflikten auf dem Kontinent eingreifen können. Bis zum Jahr 2010 aber - und teils noch darüber hinaus - wird es notwendig bleiben, dass die Staaten des Nordens in akuten Krisen wie jetzt im Kongo oder in Liberia gemeinsam mit massiven zivilen und militärischen Mitteln Frieden in Afrika unter dem Mandat der Vereinten Nationen sichern helfen. Auch das gehört zu einer verantwortlichen Ausfüllung der Rolle der G8.

Die unvollständigen Lösungen

Obwohl der Grad internationalen Engagements in Krisenregionen an der Teilnahme an militärischen Friedensmissionen gemessen wird, liegt der Akzent unserer Argumentation nicht allein auf der militärischen Seite, sondern auf Gesamt-Lösungen. Charakteristisch für die internationale Vermittlung sind bei allem Fortschritt in jüngster Zeit immer noch die unvollständigen Lösungen, die entweder das Eine oder das Andere berücksichtigen : entweder die militärische Komponente oder die zivile, entweder die afrikanische, regionale Komponente oder die Unterstützung des Nordens. Dies lässt sich gut am Beispiel zweier bis heute aktueller Konflikte in Afrika zeigen.

Die erste westafrikanische Friedensmission 1990 in Liberia unter Führung Nigerias z.B. war ein sehr zweifelhafter und von keinem politischen Konzept getragener Einsatz. Ihr folgte mit der "Wahl" von Charles Taylor zum Präsidenten im Jahr 1997 eine politische Befriedung, die eher einer politischen Einzäunung Liberias als einer wirklichen Friedensstiftung nahekam. Dies wird im Vergleich zum Vorgehen der internationalen Gemeinschaft in Sierra Leone ganz deutlich. In Sierra Leone folgte dem entschlossenen Militäreinsatz der Briten zur Unterstützung der UN ein breit angelegtes Programm zur Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung der Rebellen, insbesondere der Kindersoldaten. Darin hat zum Beispiel die internationale Abteilung der deutschen GTZ eine führende Rolle gespielt.

Demgegenüber gab es in Liberia überhaupt kein ziviles Demobilisierungs- und Aufbauprogramm, das die Wahl Taylors erst zu einer politischen Lösung hätte machen können. Dieses Vakuum hat nun seine verheerenden Folgen gezeitigt. Der neuerliche Einsatz nigerianischer Truppen im Rahmen der ECOMIL ist eine konkrete Anwendung der neuen afrikanischen Doktrin regionaler Friedensstiftung. Aber er erfolgt bislang ohne eine hinreichend konkrete Vorstellung zur politischen Zukunft Liberias. So zeigt der Fall Liberia im ganzen, dass rein militärische Einsätze ohne überzeugendes, breites Konzept von ziviler Friedenssicherung und Wiederaufbau ebenso in ein politisches Chaos führen können wie der umgekehrte Fall unzureichend abgestützter rein humanitärer, ziviler Massnahmen.

Niemand verlangt von der Bundesrepublik einen Beitrag zur militärischen Friedenssicherung in Liberia, außer vielleicht einen finanziellen. Politisch entscheidend ist aber, dass auch eine solche afrikanische Friedensmission noch auf die Unterstützung des Nordens angewiesen ist. Genau deswegen ist die mangelnde Bereitschaft der Vereinigten Staaten, ihre historisch gewachsene Verantwortung voll wahrzunehmen, international kritisiert worden.

Andernorts - zum Beispiel in der Region der Großen Seen - kann eine solche Verantwortung auch die Bundesrepublik treffen, und zwar aus doppeltem Grunde: einmal hat Deutschland selbst eine historische Verantwortung in Ruanda und Burundi; außerdem sollte es eine einzige "Schutzmacht" gar nicht geben, zumal die betroffenen Länder sie aufgrund ihrer kolonialen Erfahrung nicht wollen.

Damit sind wir bei dem zweiten Beispiel, dem politischen Umgang mit Ruanda nach dem Völkermord 1994 und den regionalen Folgen bis zum heutigen Tage. Eine Million Menschen verließen damals - teils unter der Aufsicht Frankreichs - Ruanda und wurden in Flüchtlingslagern im Ostkongo aufgefangen. Doch die internationale Gemeinschaft versäumte es, die am Völkermord beteiligten Milizen der Interahamwe und die Soldaten der ehemaligen ruandischen Armee (FAR) zu entwaffnen und von den zivilen Flüchtlingen zu trennen. Fortan bewegten sich diese völlig frei in den Flüchtlingslagern und konnten unter den Augen der humanitären Hilfsorganisationen ihre Angriffe auf ruandisches Gebiet organisieren und sich danach dort wieder regenerieren. Fehlte es beim Militäreinsatz in Liberia an einem politischen Konzept, mangelte es umgekehrt in Ruanda an einer militärischen Komponente: Humanitäre Hilfe wurde geleistet, doch ihr Anlass, nämlich mörderische Gewaltanwendung, nicht eingedämmt. Diese Unterlassung hat zur späteren Entwicklung im Ost-Kongo maßgeblich beigetragen. Die Forderung der Ruander, die internationale Staatengemeinschaft möge das Sicherheitsproblem auf der kongolesischen Seite für Ruanda lösen, blieb ungehört. Man überließ es der neuen ruandischen Armee, die Todesschwadronen zu stoppen, um der Regierung dann vorzuwerfen, sie hätte das Völkerrecht gebrochen. Dabei erlaubte das Abkommen von Lusaka 1999 - um präzise zu sein: z.B. in den Paragraphen 17 und 22 - den Ruandern sogar, für Sicherheit und Ordnung auf der kongolesischen Seite zu sorgen, was von Kritikern Ruandas gern übersehen wird.

Die in der Folge verübten Menschenrechtsverletzungen und die Selbstbereicherung ruandischer und ugandischer Militärs im Kongo dürfen in keiner Weise verniedlicht oder gar gerechtfertigt werden. Dennoch muss daran erinnert werden, dass die westlichen Staaten - einschließlich der Bundesrepublik - um Ruandas Dilemma wussten. Man hat dem Land die erbetene militärische Hilfe im Kongo versagt und es auch unmittelbar nach dem Völkermord allein gelassen. So nahm man die Folgen billigend in Kauf und überließ die Region sich selbst. Das hatte Auswirkungen, die bis heute für den Kongo-Konflikt mitverantwortlich sind, ebenso wie für den fortdauernden Bürgerkrieg in Burundi.

Ähnliche Entwicklungen sind in kommenden Konfliktfällen nur vermeidbar, wenn der Westen bereit ist, ggf. die geforderten und notwendigen Sicherheitsgarantien zu übernehmen. Hierzu wird mittelfristig Deutschland beitragen müssen, auch wenn es sich dazu kurzfristig nicht in der Lage sieht. Nur so wäre eine multilateral eingebettete Politik für Afrika erreichbar.

Sicherheitsgarantien

Wer den Kongo und die Region der Großen Seen befrieden will, muss daher aus der jüngeren Geschichte Ruandas Konsequenzen ziehen: Wenn als Ausgangspunkt für das Engagement der ruandischen Armee im Kongo das Bemühen um die Existenzsicherung des 1994 neu geschaffenen Regierungssystems gegen die rassistische Hutu-Miliz und Ex-Armee akzeptiert wird, dann kann der vollständige Rückzug Ruandas aus dem Kongo nur im Verein mit einer militärisch abgesicherten Überlebensgarantie für Ruanda selbst durchgesetzt werden. Hier gibt es durchaus eine Parallele zu der bekannteren Problemlage im Nahen Osten, d.h. zur Überlebenssicherung des Staates Israel. Anders aber als bis dato in Israel, kann diese Überlebensgarantie für den Staat Ruanda in seiner heutigen Verfassung nicht glaubwürdig von einzelnen engagierten Mächten wie den USA oder Grossbritannien abgegeben werden. Die Garantie erscheint eher als parteiische Intervention im Streit zwischen dem anglophonen und dem frankophonen Lager denn als neutraler Beitrag zum Frieden; und wer verhindert dann, dass sich bei einem neuerlichen politischen Prioritätenwechsel das Land wieder allein einem frankophonen Hegemonie-Anspruch alter Prägung konfrontiert sähe ? Eine Garantie des Bestandes von Ruanda mit den wesentlichen Elementen multiethnischer Staatlichkeit im Rahmen der UN müsste zusätzlich von der EU als ganzer besichert werden. Dahinter wiederum müsste auch die erklärte Bereitschaft Deutschlands stehen, diese Bestandsgarantie mit allen Konsequenzen mitzutragen. Deutschland hat hier - um es noch einmal zu sagen - eine langfristige Verantwortung als "neutrale" Macht zwischen dem anglophonen und dem frankophonen Block der Industrieländer.

Selbstverständlich muss die Bestandsgarantie umgekehrt auch für die Demokratische Republik Kongo gelten. Die Zerlegung ihrer staatlichen Integrität in Einfluss-Sphären von Rebellen und Anrainerstaaten war und ist auch eine akute Bedrohung; und sie ist ebenso wenig akzeptabel wie die Angriffe auf die multiethnische Staatlichkeit von Ruanda und Burundi.

Die deutsche "Überlastung"

Ob man es will oder nicht, Sicherheitsgarantien durchzusetzen und Waffenruhe zu erzwingen, erfordert den Einsatz militärischer Mittel. Wie im Falle des Kongo-Einsatzes von allen Fraktionen des Bundestages bestätigt, ist hier auch die deutsche Bundeswehr gefordert. Das hat beim aktuellen Stand seine Grenzen; aber grundsätzlich muss man in der Frage der Belastbarkeit der Bundeswehr und der mit ihr zusammen agierenden zivilen Friedenskräfte eine kurzfristige und eine mittelfristige Sicht unterscheiden. Kurzfristig erwachsen der Bundeswehr speziell in Afghanistan noch weitere Aufgaben, und die Krisen-Einsatzkräfte sind noch nicht auf der wünschenswerten Mannschaftsstärke. Aber das Argument kann man höchstens für ein paar Jahre verwenden. Denn exakt der gleiche Vorbehalt kann natürlich auf diejenigen Einsatzkräfte angewandt werden, die afrikanische Staaten selbst stellen sollen. Wo die Armee des drittgrößten Industrielandes der Erde schon überfordert scheint, wenn ein paar Tausend spezialisierte Soldaten an drei oder vier verschiedenen Standorten zu stellen sind, ist das für das Militär aus dem Senegal, Nigeria oder Kenia erst recht der Fall. Und selbst wenn die Priorität aus guten politischen Gründen auf Friedenstruppen aus der Region liegen soll, dann muss die Bereitschaft aufgebracht werden, solche Einsätze (a) in den Ausbildungszentren vorbereiten zu helfen, wie es jetzt in Ghana und Kenia geschieht, aber auch (b) aus verstärkten Mitteln der Bundesregierung über die UN finanziell zu unterstützen.

Militäreinsätze und Demokratie

Solche regionalen Friedenseinsätze in Afrika sind aber noch aus einem anderen Grund nicht beliebig zu vermehren. Warum halten wir es überhaupt für vertretbar, deutsches Militär oder das anderer NATO-Staaten zur aktiven Friedenssicherung außerhalb der eigenen Grenzen einzusetzen? Weil es grundsätzlich eine demokratische Kontrolle der ausführenden Regierung gibt - und in Deutschland sogar eine aus guten historischen Gründen etablierte, enge parlamentarische Kontrolle der einzelnen militärischen Einsätze. Im Umkehrschluss setzt genau diese Anforderung regionalen Friedenseinsätzen afrikanischer Truppen relativ enge Grenzen. Wo demokratische Kontrollen kaum existieren, ist die Mandatierung mit besonderen Risiken verbunden. Für ihr Funktionieren braucht es mehr als eine parlamentarisch gewählte Regierung in einem afrikanischen Entsende-Staat. Es braucht ein kontrollfähiges Parlament mit funktionsfähiger Opposition, eine freie Presse und bürgergesellschaftliches Bewusstsein, die die heute unerlässliche zusätzliche Kontrollfunktion ziviler Gesellschaft wahrnehmen. Im vollen Sinne sind diese Bedingungen heute nur in der Republik Südafrika gegeben, in einigen anderen Ländern immerhin in Teilen.

Erinnern wir uns, dass der erste große militärische Einsatz einer regionalen Streitmacht in Afrika der nigerianisch geführte ECOWAS-Einsatz in Liberia Anfang der 90er Jahre war. Das historische Beispiel ist lehrreich. Die nicht von einem demokratisch legitimierten Präsidenten, sondern von der Militärjunta unter Abacha entsandte Truppe war am Schluss von einer Raubritter-Truppe ähnlich der lokalen Soldateska kaum noch zu unterscheiden. Die aktuelle Beteiligung des Diktators Eyadema an den Friedensverhandlungen für Liberia ist genauso fragwürdig, da Togos Regierung selbst eher Objekt als Subjekt für Konfliktprävention sein sollte und seit Jahren ein früher Versuch der Demokratieförderung der EU unter deutsch-französischer Führung nicht vom Fleck kommt.

Sagen wir es grundsätzlicher: Man überlastet die jungen Demokratien Afrikas leicht, wenn ihnen kurz- und mittelfristig fast alle Maßnahmen der Konflikteindämmung und Friedenssicherung selbst aufgeladen werden sollen, zur "Entlastung" am besten im Verein mit Truppen der Diktatoren in ihrer eigenen Nachbarschaft. Das ändert nichts an der Perspektive 2010; es ändert nichts an der Sinnhaftigkeit der regionalen Ausbildungsmaßnahmen, die jetzt gerade der Vorbereitung der Truppen in Liberia zugute kommen. Aber es hilft die Proportionen zu wahren zwischen dem, was realistisch von den Afrikanern selbst und was von engagierten Regierungen des Nordens erwartet werden kann.

Regierungen des Nordens allerdings sollen nach unserer Überzeugung in einer zukunftsweisend angelegten Afrikapolitik auch nicht als einzelne Macht an der Seite von regionalen afrikanischen Friedenstruppen agieren. Dass dies eher häufiger als seltener geschieht, markiert vielmehr eine weitere Problem-Dimension alter Afrikapolitik - den fortdauernden Unilateralismus.

Alter Unilateralismus

Auch nach dem Ende der Kolonialzeit haben unilateral abgegrenzte Einfluss- und Interessensphären der ehemaligen Kolonialmächte Frankreichs, Großbritanniens, und teilweise Belgiens und Portugals das Bild Afrikas geprägt. Diese einseitige "Protektion" ist zwiespältig: Wie in jüngerer Zeit die Einsätze britischer Truppen in Sierra Leone oder französischer Einheiten in der Elfenbeinküste zeigen, sind sie bislang oft die einzige Möglichkeit, dramatische Konflikte auf Grundlage von UN-Beschlüssen wieder unter die Kontrolle der schwachen nationalen Regierungen zu bringen. Die Friedenstruppen aus der Region sind hierzu in der Regel noch zu schwach. Auf der anderen Seite dienen solche unilateralen Aktionen häufig unerklärten politischen Zwecken und handfesten wirtschaftlichen Interessen. Auch in der politischen Selbstwahrnehmung in Frankreich, Großbritannien und Belgien bringen sie die Interventionsmacht in militärische und zivile Doppelrollen, die politisch problematisch sind. Die Rolle Frankreichs bei dem Völkermord in Ruanda ist hierfür ein beredtes Beispiel.

Neuer Unilateralismus

Geopolitisch ebenso kritisch ist der weitere Ausbau unilateraler Präsenz der Vereinigten Staaten, der gegenwärtig vor allem in den neuen Erdölförderländern entlang der Westküste Afrikas voranschreitet und die Kräfteverteilung in Afrika verändert. Die amerikanische Entwicklungspolitik ist hierbei keineswegs widerspruchsfrei: Einerseits steigerte die US-Administration in 2002 ihre Agrarsubventionen um 70 % auf rund 130 Mio. $, ein klarer Verstoß gegen die eigenen Prinzipien des freien Handels, mit verheerenden Folgen z.B. für die Baumwollbauern Afrikas. Für Afrika wird aber auch eine neue, andere US-Politik offensiv umgesetzt im African Growth and Opportunity Act (AGOA): Neue Zollfreistellungen vor allem für Textilexporte in die USA haben in einer Reihe afrikanischer Staaten rasch und massiv Arbeitsplätze geschaffen. Für die Aids-Bekämpfung stellt die Administration bis zu 15 Mrd. Dollar in Aussicht. Die Maßnahmen sollen nun im Millennium Challenge Account (MCA) um weitere Steigerungen der amerikanischen Entwicklungshilfe ergänzt werden, wie sie in diesem Umfang in Deutschland unvorstellbar erscheinen.

Diese Initiativen ergänzen eine konsequente Diversifizierung der US-Erdölimporte, die die Staaten des Golfs von Guinea stärkt, sowie eine privilegierte militärische Zusammenarbeit mit ausgewählten Staaten. Aktueller Ausdruck dieser neuen US-Afrikapolitik ist die jüngste Reise von Präsident Bush durch fünf afrikanische Länder. Bei aller Widersprüchlichkeit ist das eine sehr konsequente Politik. Einerseits bietet diese neue US-Politik neue Chancen für die afrikanische Wirtschaft, andererseits ist sie ein weiteres Indiz für den neuen Unilateralismus der USA auch in der Entwicklungskooperation: Die jährlich anstehende Entscheidung, ob sich ein Landauf dem Pfad marktwirtschaftlicher Öffnung befindet und weiter einen bevorzugten Marktzugang erhält, wird allein vom US-Präsidenten gefällt. Solche einseitigen "Handels- und Schutzverträge" können auf Kosten langfristig tragfähigerer Lösungen in afrikanischen regionalen Strukturen oder multilateraler Regelungen gehen. Kritik an der US-Politik fällt daher nicht schwer; aber man muss ihr Alternativen von wenigstens annähernd ähnlicher Konsequenz entgegensetzen. Der Ruf nach einem größeren Engagement weiterer Nationen, der sich nicht zuletzt an Deutschland richtet, sollte auch deshalb gehört werden. Das Engagement muss Handelspolitik, Entwicklungs-, Außen- und Sicherheitspolitik umfassen.

Im Zentrum einer solch neuen, multilateral ausgerichteten Afrika-Politik der internationalen Staatengemeinschaft müssen drei Punkte stehen: der Primat ziviler Friedensstiftung in Afrika, ein konsequenter Umgang mit den wirtschaftlichen Ursachen der Konflikte auf dem Kontinent und wenn nötig ein größeres militärisches Engagement weiterer westlicher Staaten, und damit auch der Bundesrepublik .

Primat ziviler Friedensstiftung

Deutschland ist für eine breitere Beteiligung an Friedenseinsätzen in Afrika weniger vorbelastet als die alten Kolonialmächte und auf der anderen Seite gerade durch unser breites entwicklungspolitisches Engagement in Afrika eher für Einsätze prädestiniert als Staaten Asiens oder Lateinamerikas, die zwar bereitwillig Truppen entsenden, aber keinerlei regionale Erfahrung und Kenntnis aus ziviler Entwicklungsarbeit mitbringen. So kann ein besonderer deutscher Beitrag im Rahmen gemeinsamer Friedensmissionen wie jetzt im Kongo gerade darin bestehen, dass künftig die Maßnahmen-Kombination und die zeitliche Abfolge ziviler und militärischer Unterstützung stärker in Richtung ziviler Maßnahmen verschoben wird.

Hier hat Deutschland besondere Kompetenzen einzubringen: deutsche Organisationen haben sich bereits erfolgreich an ziviler Friedenssicherung beteiligt, etwa bei Programmen flächendeckender Entwaffnung und Befriedung in Sierra Leone und im Norden Malis. Der deutsche Beitrag zum G8/Afrika-Friedensplan fördert gezielt zivile Programme zur Demobilisierung von Kindersoldaten, zur Kooperation ziviler und militärischer Akteure bei Friedenseinsätzen oder zur Ausbildung für Versöhnungsprozesse unter verfeindeten Parteien. Auch der von der rot-grünen Bundesregierung aufgebaute Zivile Friedensdienst bietet die Chance, Friedensfachkräfte zur Verfügung zu stellen. Die Bedeutung des neu gegründeten Zentrums für internationale Friedenseinsätze in Berlin ist hier ebenso hervorzuheben.

Eine Bereitschaft Deutschlands, künftig zu dem Gesamtpaket internationaler Friedenssicherung auch in Afrika stärker beizutragen, setzt den Primat ziviler Friedenssicherung also in keiner Weise außer Kraft - im Gegenteil, wohl definierte militärische Beiträge können das Terrain ziviler Friedensarbeit sichern, und zwar dort, wo sie bis dahin vernachlässigt wurde oder auf ruhigere Zeiten verschoben werden musste. Das ist in Afrika nicht anders als in Afghanistan.

Transparenz und Kontrolle

Neuere Kriege und Bürgerkriege in Afrika haben fast nie ihre wesentliche Ursache in "Stammes"-Gegensätzen. Hauptursachen von ethnischen Konflikten sind der Zugang zu Grund und Boden sowie die Kontrolle über die Erlöse aus Diamanten-, Gold-, Coltan-Abbau, Holzeinschlag oder Erdölförderung. Eine wesentliche Form ziviler Friedensstiftung ist daher, Transparenz über die Abgaben von Holz-, Bergbau- und Erdölkonzernen zu schaffen und illegale Einnahmequellen von Regierungen und Warlords trockenzulegen.

Die Offenlegung der Abgaben für den Abbau von Primärerzeugnissen in den nationalen Haushalten afrikanischer Staaten und parallel dazu in den Bilanzen der beteiligten internationalen Firmen ist damit ein zentrales Element für die Einschränkung von Korruption und Kriegsfinanzierung auf dem Kontinent. Sowohl die einschlägige Initiative der britischen Regierung (Extractive Industries Transparency Initiative) als auch die Kampagne internationaler Nichtregierungsorganisationen (Publish what you pay Campaign) zur verbindlichen Offenlegung der Abgaben aus Erdölexporten müssen daher unterstützt werden.

Ein weiteres Kernargument für eine neu bestimmte Afrikapolitik lautet also: Es gibt tatsächlich neue Projekte wirtschaftlicher Friedenssicherung in Afrika. Gerade wenn man überzeugt ist, dass solche Projekte Korruption und Kriege nachhaltig eindämmen und damit die Zahl notwendiger militärischer Interventionen reduzieren können, sollte Deutschland proaktiv an der Ausarbeitung der erforderlichen Gesetzentwürfe mitwirken sowie international auf bindende Regelungen drängen und die Vorschläge nicht nur freundlich billigen und der Initiative anderer überlassen.

Ergänzen wir schließlich das Ceterum Censeo jedes Afrikapolitikers: Vor allem anderen ist die EU in der Pflicht, die außenwirtschaftlichen Chancen der reformwilligen Staaten Afrikas deutlich zu erhöhen. Hierzu gehören ein substanzieller Abbau der Agrarsubventionen in der Union, insbesondere der Exporthilfen, sowie zahlreicher weiterer Handelsschranken. Ohne großen Fortschritt an dieser Front werden uns andere, reale Fronten in Afrika noch länger erhalten bleiben.

Internationale Politik in Zeiten knapper Kassen

Spätestens die beiden letzten Forderungen beleuchten noch einmal eines unserer zentralen Argumente: Gerade weil die wirtschaftlichen und regionalpolitischen Maßnahmen der Friedenssicherung in Afrika auch bei deutlich höherer Bewertung auf der internationalen Bühne technisch wie politisch extrem schwierige Komplexe bleiben, deren Umsetzung viel Hartnäckigkeit brauchen wird, werden sie auf absehbare Zeit militärische Einsätze als letztes Mittel nicht überflüssig machen können. Nimmt die Bundesrepublik dies ernst, muss sie nüchtern Konsequenzen ziehen: Einsätze ziviler wie militärischer Friedenskräfte werden dort in absehbarer Zukunft nicht die absolute Ausnahme bleiben können, sondern zur Normalität der auswärtigen Politik des Bundes gehören. Zu einer neubestimmten Afrika-Doktrin gehört dann auch, angesichts von zwei großen Kriegszonen in Zentral- und Westafrika und des Verfalls von Staatlichkeit am Horn von Afrika von einem Durchschnitt von zwei bis drei parallelen, begrenzten Friedenseinsätzen auszugehen.

Wir wissen, dass sich ein stärkeres Engagement der Bundesrepublik Deutschland gerade in Afrika nur mit einer reformierten, umgerüsteten und für die neuen Aufgaben geschulten Bundeswehr umsetzen lässt. Die entsprechende Ausbildung für das Verständnis des sozialen Umfeldes und der Konfliktursachen muss bei den Truppen verstärkt werden. Die Reform schliesst die Anerkennung ein, dass zusätzliche Ausrüstungen notwendig sind; sie macht aus unserer Sicht Investitionen etwa in neues Lufttransport-Gerät unabdingbar.

Soll eine aktive Afrikapolitik - statt wenig mehr als eine geopolitische Marginalie zu bleiben - nun wesentlicher, integraler Bestandteil unserer nationalen Außen- und Sicherheitspolitik werden, dann bedeutet das, dass auch für diesen Zweck die Mittel des Auswärtigen Amtes sowie des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mittelfristig deutlich steigen müssen, und zumindest übergangsweise auch die des Verteidigungsministeriums.

Die politische Versuchung selbst für die von Bündnis 90/Die Grünen mitgetragene Regierung ist groß, im Angesicht der Haushaltslage lediglich die aktuellen Funktionen des Staates im auswärtigen Bereich sicherzustellen und sich im übrigen innenpolitisch auf die Konsolidierungspolitik zu konzentrieren. Zum einen vergibt Deutschland damit neben anderem eine historische Chance, zum Aufbruch auf unserem Nachbarkontinent Afrika beizutragen. Zum anderen sieht die Bundesrepublik geopolitisch schwach aus im Vergleich mit der Bereitschaft der USA und Großbritanniens, mehr internationale Aufgaben - darunter auch zivile - zu übernehmen, und das naturgemäß so, wie sie diese neuerdings definieren. Wer mit Recht den Unilateralismus der USA im Irak-Konflikt kritisiert, muss sich auch selbst in die Pflicht nehmen lassen. Deutschland hat hierzu in Afrika eine einmalige Position: Bei allem moralischen, sicherheitspolitischen und allmählich wachsenden wirtschaftlichen Interesse bringt niemand auf dem Kontinent die Bundesrepublik mit einer langen Kolonialgeschichte oder mit aktuellen Großmacht-Interessen in Verbindung. Deshalb sind es Afrikaner selbst, die nach einem größeren deutschen Engagement rufen.

Lange Zeit hat Deutschland über außen- und sicherheitspolitische Engagements in Afrika im Rahmen einer Art Restmittel-Kalkulation entschieden: Sind noch Mittel und Einsatzkräfte für Somalia oder den Kongo "übrig"? Gerade solch ein Vorgehen ist es, das Deutschland sich künftig nicht mehr leisten kann, wenn neuen politischen Herausforderungen und alten Konflikten mit einem wirkungsvolleren politischen Engagement begegnet werden soll. Was für deutsches Engagement auf dem Balkan oder in Afghanistan gilt, das gilt eben auch in Afrika; daher die Notwendigkeit, über friedensstiftende internationale Zusammenarbeit der Bundesrepublik als Gesamtpaket neu nachzudenken.

Um es klar zu formulieren: niemand kann ernsthaft dafür plädieren, dass sich die Bundesrepublik als globale Mittelmacht der Probleme und Chancen aller 53 Staaten Afrikas oder auch nur sämtlicher akuten Konflikte mit der geballten Intensität ihres politischen Instrumentariums annimmt. Aber von diesem Extrem ist es ein weiter Weg bis zur fast reflexhaften Abwehr jedes umfassenderen deutschen Engagements auf dem Kontinent, der vielen Realpolitikern mit eingeschränktem Horizont bei der bloßen Entwicklungshilfe gut aufgehoben erscheint. Selbst die Entwicklungskooperation konzentriert sich mehr und mehr auf ausgewählte Schwerpunktländer, in denen unsere Zusammenarbeit klarere Ergebnisse als früher zeigen kann; allerdings sind das gerade die "funktionierenden" Staaten mit guter Regierungsführung, und eben nicht die zerfallenden Staaten, die die Schlagzeilen machen. Wir plädieren für ein bewusstes, selektives Engagement der Bundesrepublik auch an den großen Krisenherden des Kontinents und für die Bereitschaft, dort ein neues Zusammenspiel ihrer politischen Mittel zu zeigen.

Zu den Autoren:

Uschi Eid (Bündnis 90/Die Grünen) ist Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)

Helmut Asche arbeitet als Bereichsvolkswirt für Afrika bei der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ).


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