oecd 200Berlin. - Die Einkommensungleichheit in Deutschland verharrt seit dem Beginn der Krise 2007 auf mittlerem Niveau. Das geht aus dem neuen Sozialbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor, der am Donnerstag in Berlin veröffentlicht wurde. Anfang der 2000er Jahre kam es in Deutschland zu einen erheblichen Anstieg der Ungleichheit. Anders als in der Mehrzahl der OECD-Länder trug die Krise aber nicht dazu bei, diesen Trend zu verstärken. Schaut man auf verschiedene Indikatoren zur Messung der Ungleichheit, liegt Deutschland unter den 34-OECD-Ländern im Mittelfeld hinter den nordischen und einigen osteuropäischen Ländern, aber vor Staaten wie Chile, der Türkei, den USA oder auch Großbritannien.

"In It Together: Why Less Inequality Benefits All" zeigt allerdings auch, dass Vermögen in Deutschland stärker konzentriert sind als in vielen anderen OECD-Ländern. Die reichsten zehn Prozent der Deutschen besitzen demnach 60 Prozent der Nettohaushaltsvermögen, im OECD-Schnitt halten die zehn Prozent der Reichsten nur 50 Prozent der Vermögen. Insgesamt verschärft die Ballung bei den Vermögen jedoch OECD-weit die Nachteile der Haushalte mit niedrigem Einkommen. Im Jahr 2012 besaßen die 40 Prozent der ärmsten Haushalte aus 18 OECD-Ländern, für die Daten vorlagen, gerade einmal drei Prozent des Gesamtvermögens.

Steigende Ungleichheit hat laut Bericht nicht nur Auswirkungen auf die Gesellschaft, es beeinträchtigt auch die wirtschaftlichen Aussichten eines Landes. Werden die untersten 40 Prozent einer Gesellschaft abgehängt – also auch größere Teile der Mittelschicht – dann nutzen Volkswirtschaften nur einen Teil ihres Potenzials. Nach Berechnungen der Studienautoren hat die steigende Ungleichheit seit 1985 dazu geführt, dass die Wirtschaft in 19 OECD-Ländern zwischen 1990 und 2010 um 4,7 Prozentpunkte weniger gewachsen ist als das bei unveränderter Ungleichheit der Fall gewesen wäre. In ungleicheren Gesellschaften haben es Familien aus schwächeren sozialen Schichten schwerer, ihre Chancen auf Bildung und damit auf sozialen Aufstieg zu verwirklichen. OECD-Analysen zeigen, dass steigende Ungleichheit keinen nennenswerten Effekt auf die formale Bildung und die Kompetenzen von Menschen aus verhältnismäßig wohlhabenden Familien hat. Für sozial schwache Familien geht sie allerdings einher mit verkürzter Bildungsdauer und häufig auch mit schlechteren Resultaten bei den schließlich erworbenen Fähigkeiten.

"Wir haben einen Wendepunkt erreicht. Noch nie in der Geschichte der OECD war die Ungleichheit in unseren Ländern so hoch wie heute", sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría, der den Bericht in Paris gemeinsam mit der Europäischen Kommissarin für Arbeit und Soziales, Marianne Thyssen, vorstellte. "Unsere Forschung belegt, dass Ungleichheit dem Wirtschaftswachstum schadet. Die Politik hat also nicht nur gesellschaftliche Gründe, gegen Ungleichheit anzugehen, sondern auch wirtschaftliche. Handeln die Regierungen nicht, dann schwächen sie das soziale Gefüge ihrer Länder und längerfristig auch das Wachstum."

Dem Bericht zufolge trug die stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen zum Abbau von Ungleichheit bei – und das, obwohl diese im OECD-Schnitt 15 Prozent weniger verdienen als Männer. Wäre der Anteil an arbeitenden Frauen auf dem Stand der frühen 90er Jahre verblieben, dann wäre die Ungleichheit im Durchschnitt wesentlich stärker gestiegen. Allerdings wird dieser Effekt in Deutschland dadurch gemindert, dass sich eine Vielzahl von Frauen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen befindet, also Teilzeit, befristet oder selbstständig arbeitet.

Unabhängig von der Berufstätigkeit der Frauen sind atypische Jobs auf dem Vormarsch: 60 Prozent der Arbeitsplätze, die seit Mitte der 90er Jahre in der OECD geschaffen wurden, sind nicht traditionell. Insgesamt arbeiten etwa 30 Prozent aller Beschäftigten OECD-weit in atypischen Jobs. Und selbst, wenn diese Jobs für einige Arbeitnehmer attraktiv sind, weil sie mehr Freizeit oder mehr Arbeitsautonomie versprechen, so führt dieser Trend oft auch zu erheblichen Lohneinbußen, etwa bei weniger gut ausgebildeten Zeitarbeitern.

Regierungen verfügen über eine breite Palette von Maßnahmen, um die Einkommensungleichheit zu bremsen: Dabei ist die Umverteilung über Steuer- und Sozialsysteme wichtig; allein genommen ist sie aber weder effektiv noch nachhaltig. Deswegen fordert der Bericht gleichzeitig dazu auf, die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu fördern, qualitativ hochwertige Jobs zu schaffen und in Bildung und Kompetenzen zu investieren.

Quelle: oecd.org


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