Es ist Sonntagabend in Cotonou. Im Kino "Vog" stehen heute keine amerikanischen, europäischen oder indischen Produktionen, sondern nigerianische Filme auf dem Programm. Die große Kinohalle, die durch Industrieventilatoren von über einem Meter Durchmesser mit Frischluft versorgt wird und in die bis zu tausend Zuschauer hineinpassen, wird nach und nach immer voller. Die Leinwand ist entsprechend riesig, aber tatsächlich wird nur ein großformatiges Videobild über einen Beamer darauf projiziert. Entsprechend matt sind die Farben und auch von der Schärfe geht einiges verloren - was der gespannten Aufmerksamkeit des Publikums keinen Abbruch tut. Immerhin hat man 500 Franc-CFA Eintritt bezahlt, was etwa 1,50 DM entspricht - ein Betrag für den man sich hier auch rundum satt essen kann.
Eine komplizierte Familiengeschichte mit stark komödiantischem Einschlag entrollt sich. Aufgeteilt in theaterähnlichen Szenen wird die Geschichte eines Jungen erzählt, der durch schwarze Magie erblindet. Die Interieurs der Wohnungen, in denen die Dialoge stattfinden, wirken wie die in Erfüllung gegangene Wunschliste eines Afrikaners der Mittelschicht, der sich nach Reichtum sehnt: riesige Schrankwände, Fernseher und modern eingerichtete Büroräume. Auch Autos, die durch große Toreinfahrten in gepflegte Gartenanlagen fahren, spielen eine große Rolle. Aber die auftretenden Schauspieler sind zumeist typisch afrikanisch gekleidet - in Agbadas und Wickeltücher mit kunstvoll drapierten Kopfschmuck bei den Frauen.
Vielfältiges Angebot
Nur zwei Kilometer vom Hafen entfernt hat sich zwischen dem gut besuchten Second-Hand-Markt von Elektroteilen und Altkleidern aus Europa eine schmale Gasse mit Verkaufsständen von Videos gebildet. Das Angebot an Yorubavideos ist auch in der beninischen Hafenstadt Cotonou sehr divers: Von Komödie über Thriller und Agentenfilme bis Familien- und Liebesdramen ist alles zu haben. Das Horror-Genre, hierzulande bislang noch nicht allzu bekannt, wird immer beliebter. Die Yoruba sind eine Ethnie, die sowohl im Westen Nigerias als auch im Nachbarland Benin lebt. Das hier in Cotonou gesprochene Fon ist mit Yoruba verwandt.
"Tod oder Lebendig", "Kinder des Terrors" oder auch einfach nur "Werde Reich" heißen ein paar der begehrten Streifen. Der Preis ist Verhandlungssache wie bei allen Waren auf diesem Markt und schwankt bei Videos zwischen 3000 und 7000 Franc CFA (4 bis 11 Euro) pro Kassette. Die heimische Videoproduktion in Benin zusätzlich zu vermarkten, ist trotz des Booms im eigenen Land sprichwörtlich naheliegend. Um ein größeres Verbreitungsgebiet zu erreichen, werden viele Filme jedoch auch in englischer Sprache gedreht. Die Drehorte sind meist in Lagos selbst und in ländlicher Umgebung.
Mit Videoraubkopien von amerikanischen B-Movies hat sich Nigeria ohnehin schon beim Käufer beliebt gemacht. Zusammen mit gefälschten Autoersatzteilen sowie preiswertem Elektrobedarf und Druckerzeugnissen ermöglichen sie dem afrikanischen Land mit den meisten Einwohnern eine schmale industrielle Basis. Bis zu 3000 Arbeitsplätze sind schätzungsweise durch diesen neuen Markt geschaffen worden. Die Billigproduktionen, die im Durchschnitt von innerhalb drei Wochen Drehzeit entstehen, lassen keinen kulturellen Hochgenuss zu: Die erheblichen Nebengeräusche überlagern besonders bei Außenaufnahmen oft die Dialoge, die Auflösung ist niedrig und viele Einstellungen sind überblendet. Die Geschichten selbst drehen sich meist um viel Geld und auch Voodoo darf nicht fehlen.
Bei "Get Rich" ("Werde Reich"), einer Produktion von 2001, dreht sich alles darum, wie zwei Freunde durch obskure Geschäfte zu Geld kommen. Fred, einer der beiden, wurde gerade wegen chronischen Geldmangels von seiner Freundin verlassen. Von einem machthungrigen traditionellen Führer - vielleicht ein animistischer Priester - erhalten die Freunde den rätselhaften Auftrag, einem Buckligen den Buckel abzuschneiden, was beiden zu enormen Reichtum verhilft. Das Opfer stirbt dabei, aber Fred gewinnt seine Freundin zurück. Durch ihren Einfluss als aktive Christin von Gewissensbissen geplagt, besucht er die vermeintliche Witwe des Opfers, um festzustellen, dass der Bucklige nicht wirklich gestorben, sondern ihm jetzt vielmehr dankbar ist, weil er von seinem Ungemach erlöst wurde. Erleichtert weigert sich Fred, bei der nächsten illegalen Aktion seines Freundes mitzumachen. Das ist sein Glück., denn alle anderen, die an dem Geschäft beteiligt sind, werden verhaftet.
Viele kleine Videokinos
Doch nicht nur die Nigerianer, auch die Beniner sind geschäftstüchtig: Wer einen Videorekorder hat, kann mit ein paar Leihvideos schon ein kleines Kino aufmachen - so gesehen in Ouidah, einem Küstenort 40 Kilometer südlich von Cotonou. Dort wurde der Nebenraum einer Kneipe zum Vorführraum für Raubkopien amerikanischer Filme. Der Eintritt kostet nur noch ganze 50 CFA - etwa 15 Pfennige - was das Publikum deutlich verjüngte: Fast ein Drittel bestand aus Kindern, die ganz vorne direkt vor der bunten Flimmerkiste lagerten. Auch im beninischen Fernsehen halten zunehmend ausländische Produktionen Einzug. Die brasilianischen Telenovelas wurden zum wahren Straßenfeger, auch die deutschen Polizeiserien "Derrick" und "Rex" erfreuen sich großer Beliebtheit.
Nach dem abendfüllenden Film im Vog-Cinema scheinen alle zufrieden. Noch kurz vorm Ausgang kommt es zu etwas Aufruhr. Kinoplakate mit dem Konterfei eines offensichtlich bekannten nigerianischen Darstellers werden verschenkt. Dann empfängt einen wieder die feuchtwarme Luft Cotonous, die vom Lärm und den Abgasen der Zweitakter erfüllt ist - den wartenden Mofataxis vor dem Ausgang des Kinos.
Ina Zeuch
Fotos: Ina Zeuch