Aachen. - Die Vorschläge aus dem Kreis der deutschen Innenminister, Abschiebungen nach Syrien ab Juli 2018 vorzusehen, da die Lage in Aleppo wieder sicher sei, hat MISEREOR am Mittwoch als realitätsfern und einen klaren Verstoß gegen die Menschenrechte bewertet. "Wer eine Diskussion über Abschiebungen zu einem jetzigen Zeitpunkt führt, kennt die Lage gewiss nicht aus eigener Anschauung und verschließt die Augen vor der Bürgerkriegs-Realität in Syrien und vor der Not der Menschen, die unter schwierigsten Bedingungen den Alltag dort meistern", sagte MISEREOR-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon.
"Ich habe dieses Jahr mit eigenen Augen das Ausmaß der Zerstörung und den Grad der Unsicherheit in verschiedenen Städten Syriens sehen und erleben können", erklärte Bröckelmann-Simon. "Wir stehen zudem fortlaufend mit unseren Partnern in Aleppo und Homs in engem Kontakt und wissen durch die intensive Projektarbeit, dass es für die Menschen dort mal gerade zum Überleben reicht. Vertrauen auf eine baldige, stabile Zukunft hat dort niemand."
"Das Land und die Menschen befinden sich noch in einer Nothilfesituation und nicht in einer Phase des Wiederaufbaus und der Entwicklung. Wir können kaum die Hilfsbedürftigen in Aleppo versorgen. Wie soll die Situation dann erst werden, wenn schon bald Menschen in großer Zahl zurückkehren?", kommentierte Franziskaner Pater Firas Lufti die Debatte in Deutschland. "Die Menschen brauchen ein Mindestmaß an Sicherheit und Stabilität. Beides ist zurzeit nicht gegeben". Die Franziskaner versorgen mit Hilfe MISEREORs die Menschen in Aleppo mit Lebensmitteln und warmen Mahlzeiten.
Auch der syrische Landesdirektor des Flüchtlingsdienst der Jesuiten (JRS), Fouad Nakhla, zeichnet ein düsteres Bild der syrischen Realität: "Fast alle Krankenhäuser sind zerstört, eine flächendeckende medizinische Versorgung existiert nicht. In Ost-Aleppo gibt es kein einziges funktionierendes Krankenhaus. Die Schulen sind noch nicht in Betrieb, die Kinder von den Folgen des Kriegs traumatisiert. Lehrer müssten extra geschult werden, um auf diese Traumatisierungen reagieren zu können", berichtete Nakhla.
Eine Perspektive für den Wiederaufbau oder gar Erwerbstätigkeit in Syrien sei auch nicht vorhanden. "Das Land ist immer noch geprägt von Kämpfen und Gewalt. Darüber hinaus würden den Abgeschobenen Verfolgung und Bedrohung durch die Sicherheitskräfte der Regierung Assads drohen", sagte Bröckelmann-Simon. Selbst wer sich nicht zivilgesellschaftlich oder politisch engagiert habe, riskiere, unter Generalverdacht zu fallen, Oppositioneller zu sein.
Auch die Einschätzungen der UN in ihrem jüngsten in New York und Genf vorgelegten Bericht sprechen laut MISEREOR eine klare Sprache: Es gebe keine Region in Syrien, die als sicher eingestuft werden könne. Selbst in den vier Deeskalationszonen auf der Basis der Vereinbarung zwischen Russland, Iran und Türkei fänden teilweise weiterhin heftige Kämpfe statt. Die Kämpfe hätten allein im Oktober 440.000 Menschen aus ihrer Heimat in andere Regionen vertrieben.
"Wir fordern daher die Innenminister auf, diese absurde Debatte um Rückführungen nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt zu beenden und stattdessen auf Integration statt Abschiebungen für syrische Flüchtlinge zu setzen", so Bröckelmann-Simon. Es gebe nach wie vor keine stabile Friedenslösung, keine umfassende staatliche Ordnung für das Land. Frieden könne man nicht von außen und per Dekret vom Schreibtisch in Deutschland aus erklären.
Quelle: www.misereor.de