Bonn. - Rund ein Fünftel der Weltbevölkerung könnte bald direkt von den Folgen schmelzender Gletscher und steigender Meere bedroht sein: Der Weltklimarat (IPCC) kommt in seinem Sonderbericht zu einer noch dramatischeren Einschätzung zu Ozeanen und Eismassenverlust als im Sachstandsbericht von 2013. Angesichts dieser Prognosen fordert die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch ein höheres Tempo beim Klimaschutz und die globale Klimaneutralität bis spätestens 2050.
Die Wissenschaft geht nun davon aus, dass bei einem ungebremsten Klimawandel die Meeresspiegel schon bis Ende des Jahrhunderts um über einen Meter steigen könnten (plus 10 cm im Vergleich zur Einschätzung von 2013) und zusätzlich der im Permafrostboden gespeicherte Kohlenstoff in großen Mengen freigesetzt werden könnte. Dies würde zu einer sich selbst verstärkenden Beschleunigung der Erderhitzung führen.
"Der IPCC zeigt sehr deutlich: Das Zeitfenster, in dem wir eine außer Kontrolle geratene Klimakrise noch verhindern können, ist nicht mehr lange geöffnet. Entweder die Industrienationen und großen Schwellenländer halbieren ihre Emissionen bis 2030 und gehen mit großen Schritten Richtung Klimaneutralität bis spätestens 2050 voran, oder die rapiden Veränderungen drohen für hunderte Millionen Menschen kaum noch bewältigbar zu werden", warnte Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.
"Es geht insbesondere auch um die Verantwortung gegenüber den besonders verletzlichen Menschen, die zum Beispiel auf Inseln, in Küstengebieten oder Gebirgsregionen von Entwicklungsländern direkt bedroht sind", sagte Bals. "Sie brauchen jetzt massive Unterstützung bei Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel. Und endlich auch die Übernahme von Verantwortung der großen Emittenten für die vom Klimawandel verursachten Schäden und Verluste, die sich nicht mehr verhindern lassen. Schon heute müssen die besonders betroffenen Staaten am Kapitalmarkt bedingt durch die Klimarisiken höhere Zinsen als Risikoaufschlag zahlen."
Rund 90 Prozent der zusätzlichen Klimaerhitzung wird laut IPCC von den Ozeanen aufgenommen. Dies verändert die Meere massiv: Die höheren Wassertemperaturen und die gleichzeitige Versauerung durch CO2-Aufnahme führt zu Einbrüchen beim Fischfang und weit verbreitetem Sterben von Korallenriffen, was wiederum flachen Inseln auch ihren natürlichen Küstenschutz nimmt. In Gebirgen mit vor allem kleineren Gletschern droht bis Ende des Jahrhunderts ein Verlust der Eismasse um über 80 Prozent. Dies kann zu Gefahren durch schnell wachsende Gletscherseen und instabile Berghänge sowie langfristig zu massiver Trinkwasserknappheit führen.
"Die Risiken, denen Menschen in den Bergen durch die Klimakrise ausgesetzt sind, werden immer gravierender", betonte Bals. "Mit Saúl Luciano Lliuya streitet gerade ein peruanischer Bergführer aus den Hochanden vor dem Oberlandesgericht Hamm um Schutz vor der Flutgefahr eines schnell wachsenden Gletschersees. Wir unterstützen seinen Musterprozess gegen RWE als den größten CO2-Einzelemittenten Europas, weil diese Menschen einen Anspruch auf Schutz vor den Gefahren haben, die von ihnen selbst am allerwenigsten mitverursacht worden sind."
Familie Recktenwald von der Nordseeinsel Langeoog beteiligt sich an einer anderen Klimaklage, dem "Peoples Climate Case", einer Klage mehrerer betroffener Familien aus verschiedenen Ländern, die ihre Grundrechte gegen die zu schwache Klimapolitik der EU schützen wollen. Auch sie wird von Germanwatch unterstützt. Maike Recktenwald: "Der Sonderbericht des IPCC macht deutlich, dass der Klimawandel-bedingte Anstieg des Meeresspiegels ein noch größeres Risiko für Inselbewohner wie uns auf Langeoog darstellt, als bisher angenommen. Die Gefahr, dass das Meer die Dünen durchbricht und unser Süßwasserreservoir versalzt, nimmt akut zu. Aus diesem Grund nehmen wir die EU für eine Klimazielverschärfung und den Schutz unserer Grundrechte in die Pflicht. Der IPCC-Sonderbericht sollte die Staats- und Regierungschefs alarmieren, endlich entschiedener zu handeln."
Quelle: www.germanwatch.org