Lost Children FilmplakatBerlin (epo). - Mit einem fraktionsübergreifenden Antrag wollen  sich Abgeordnete des Deutschen Bundestages für ein Ende des seit 40 Jahren andauernden Konfliktes zwischen der Rebellenorganisation "Lord's Resistance Army" (LRA) und der Regierung in Norduganda einsetzen. In der Region seien mehr als 1,7 Millionen Binnenflüchtlinge schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, berichete der Erzbischof von Gulu, John Baptist Odama, am Mittwoch im Entwicklungsausschuss des Deutschen Bundestages. Auf die verzweifelte Lage insbesondere tausender Kindersoldaten, die von der LRA entführt wurden, hat der preisgekrönte Dokumentarfilm "Lost Children" des Berliner Regisseurs und Filmproduzenten Oliver Stoltz aufmerksam gemacht, der derzeit in deutschen Programmkinos und Schulvorführungen läuft.

Im interfraktionellen Antrag heisst es, in den letzten zweieinhalb Jahren hätten die Rebellen mehr als 10.000 Kinder verschleppt und sie als Kindersoldaten eingesetzt. Mehr als 1,6 Millionen Menschen seien durch den Krieg entwurzelt worden. Die "Ernsthaftigkeit der ugandischen Regierung an Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen" müsse dringend angemahnt werden. Die Grünen-Abgeordnete Ute Kocy sagte, fast die Hälfte des ugandischen Etas werde durch Entwicklungshilfe der Gebernationen bestritten. Hier könne Druck ausgeübt werden.

Nach den Worten von Erzbischof Odama ist der Bürgerkrieg im Norden Ugandas einer der "vergessenen Konfikte", die nur selten in das Bewußtsein der Öffentlichkeit dringen. Aufgrund "gravierender und häufiger Menschenrechtsverletzungen" seien rund 1,7 Millionen Menschen gezwungen worden, ihren Besitz zu verlassen und Zuflucht in Auffanglagern zu suchen. "Ich bin hier, um um ihre helfende Hand zu bitten", sagte Odama am Mittwoch vor dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Bundestages (AWZ). "Bitte helfen Sie uns aus dieser Lage heraus."

Odama zufolge zeigt der preisgekrönte Dokumentarfilm "Lost Children" nur "die Spitze des Eisberges". Der Film, der Regisseure Ali Ahadi und Oliver Stoltz zeigt am Beispiel von vier Jugendlichen das Schicksal tausender Kindersoldaten, die durch die Kriegsereignisse traumatisiert werden.

Der AWZ hatte sich den Dokumentarfilm vor wenigen Wochen im Rahmen einer Sondersitzung angesehen und daraufhin einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen formuliert. Darin heißt es, es sei "die Verantwortung der ugandischen Regierung, die Zivilbevölkerung vor jeglicher Gewalt der Bürgkriegsparteien zu schützen. Korruption, vor allem auf Seiten des Militärs, mindern das Interesse den Konflikt zu beenden." Die Krise sei längst länderübergreifend auf strahle auf die angrenzenden Gebiete im Südsudan und in der Demokratischen Republik Kongo aus.

Der AWZ sieht sich in seiner Initiative auch durch den Rat der Europäischen Union bestätigt, der am 15. Mai von einer ernsten humanitären Situation in Norduganda gesprochen hatte. Nach Darstellung des Auswärtigen Amtes hat die Bundesregierung den Vorschlag für eine "Road Map" zur Lösung der Krise in die entsprechenden Gremien der EU eingebracht. Der Internationale Srafgerichtshof in Den Haag hat unterdessen Haftbefehle gegen die Führung der LRA erlassen. Deren Führer Joseph Kony soll vor einigen Tagen eine Nachricht an den ugandischen Präsidenten Yoveri Museveni gesandt haben, in der er seine Bereitschaft für Friedensgespräche signalisiert.

Erzbischof Odama sagte, durch die neu gewählte Regierung komme möglicherweise Bewegung in die festgefahrene Lage im Norden Ugandas. Er forderte ein Mitspracherecht der lokalen Bevölkerung und bat um Hilfen für den Wiederaufbau der Landwirtschaft. Die in ihre Dörfer zurückkehrenden Flüchtlinge stünden buchstäblich vor dem Nichts.

Die katholische Kirche und Caritas Uganda haben nach den Worten Odamas sechs Rehabilitionszentren für ehemalige Kindersoldaten eingerichtet. Ein Viertel der Eltern wollten ihre Kinder nicht wieder in die Familie aufnehmen oder seien zumindest zögerlich, sagte Odama. Manche der von der LRA entführten Kinder hatten auf Befehl ihrer Führer Mitglieder der eigenen Familie ermordet. Weil Norduganda auch Durchgangsstation für Waffenschmuggler sei und auf diese Weise viele Kleinwaffen in die Region kämen, sei eine Demilitarisierung sehr schwierig.

LOST CHILDREN

Die "Lord's Resistance Army" ist eine sektenähnlich operierende , urprünglich "christlich" motivierte Rebellenorganisation im Norden Ugandas, die systematisch Kinder aus Dörfern entführt und zum Kriegsdienst zwingt. Der Film "Lost Children" zeigt das Schicksal von vier Kindern, die der LRA entflohen sind und versuchen, ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Darunter ist der achtjährige Opio, der bei der LRA mehr als 100 Kinder befehligte und einem Vorgesetzten bei einer Auseinandersetzung "die Beine weggeschossen hat", so Regisseur Oliver Stoltz. Danach floh er aus der LRA.

Die 13jährige Jennifer wurde im Busch vergewaltigt und war das Kindermädchen von LRA-Chef Joseph Kony. "Die Kirchen sind die einzige Opposition im Land", sagte Oliver Stoltz. Die Kinder hätten "unschuldig Schuld auf sich geladen" und würden nach ihrer Rückkehr von ihren Familien häufig abgelehnt. Hier müssten die Kirchen helfend eingreifen. Er habe die Kirche in Uganda "als Machtfaktor positiv erlebt", sagte Stoltz. Viele Laien und Priester seien aufgrund ihres Engagements für die Menschen ermordet oder bedroht worden. "Man sieht, wie viel Kraft der Glaube den Menschen geben kann", schilderte Stoltz seine Eindrücke vor Ort.

Stoltz hatte mit seinem Team bei Drehaufnahmen in der Region um Gulu mit einem Etat von 150.000 Euro 120 Stunden Filmmaterial gedreht. Neun Monate lang schnitten er und sein Partner Ali Samadi Ahadi die in Uganda gedrehten Interviews. Erst nachdem der Dokumentarfilm einige Preise erhalten hatte, zeigten etablierte Fernsehsender, die zuvor eine Mitfinanzierung abgelehnt hatten, Interesse an einer Ausstrahlung.

arte hatte das Filmprojekt von Beginn an befürwortet. Mittlerweile ist der Film auf mehren Festivals und in mehr als 200 Schulen gezeigt worden. Bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2006 erhielt Lost Children den Preis als bester Dokumentarfilm. Am 6. Juni wird arte den Film ausstrahlen, den es in einer 52minütigen Kurz- und einer 95minütigen Langfassung gibt.

? Dokumentarfilm "Lost Children"
? Trailer des Films
? AWZ


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