Das europäische Lieferkettengesetz ist auf den Weg gebracht und das ist gut so. So berichten schon jetzt viele Partner aus dem globalen Süden, dass sich Unternehmen, die dem deutschen Lieferkettengesetz unterliegen, viel intensiver um die Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort kümmern. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Bananenarbeiter Costa Rica stellt fest, dass sich jetzt z.B. ein Vertreter von Lidl nach Beschwerden der Gewerkschaft nach Costa Rica begeben hat, um sich dort die Arbeitszeiten und Löhne der Arbeiter anzuschauen und auch Besserungen in Aussicht zu stellen. Und mit der europäischen Gesetzgebung herrscht jetzt auch Wettbewerbsgleichheit für alle größeren Firmen. Deshalb haben sich auch Firmen wie Tchibo, Otto, Rewe, Ikea und andere für dieses Gesetz stark gemacht.
Überbordende Bürokratie wird zur Blockade
Dennoch ist der Vorwurf, dass die Unternehmen aufgrund des Lieferkettengesetzes mit viel (auch überflüssiger) Bürokratie überhäuft werden, nicht völlig von der Hand zu weisen. Tatsächlich ist es so, dass z.B. Unternehmen, die im Textilsektor tätig sind, mit einer Vielzahl von freiwilligen und gesetzlichen Vorgaben konfrontiert sind, die jeweils für sich viele Berichtspflichten nach sich ziehen, die separat bearbeitet werden müssen, auch wenn sich die Anforderungen vieler Vorgaben weitgehend decken.
Menschenrechtliche, soziale und ökologische Risiken durch Nachhaltigkeitsstandards begrenzt
Nehmen wir das Beispiel Baumwollanbau und -verarbeitung. In diesem Bereich gibt es hohe menschenrechtliche, soziale und ökologische Risiken. Dabei geht es z.B. um ausbeuterische Kinderarbeit, den ungeschützten Einsatz giftiger Pestizide, niedrig bezahlte und miserable Saisonarbeit in den Baumwoll-Entkörnungsbetrieben. Um diese Risiken, die bei den Baumwoll-Textilien vertreibenden Unternehmen hohe Imageschäden und Umsatzverluste bedingen können, einzugrenzen, haben sich vor Jahren Firmen wie Otto, Tchibo, Rewe, Ikea, H&M und viele andere mit Nichtregierungsorganisationen, Baumwollhändlern, Baumwollanbauern und der deutschen und niederländischen Regierung zusammengeschlossen, um die Standards Cotton Made in Africa (CmiA) - auf Afrika begrenzt - und Better Cotton Initiative (BCI) - weltweit tätig - ins Leben gerufen.
Diese Standards stellen sicher – und dies wird regelmäßig durch unabhängige Prüfungsgesellschaften überprüft- dass im Baumwollanbau soziale und ökologische Mindestkriterien eingehalten werden. So darf bei der BCI oder CmiA zertifizierten Baumwolle keine ausbeuterische Kinderarbeit zum Einsatz kommen; es darf keine Baumwolle in Gebieten mit einer hohen ökologischen Diversität angebaut werden; von der WHO als besonders gefährliche Pestizide dürfen nicht verwendet werden, korruptive Geschäftspraktiken sind nicht zulässig; Verträge zwischen Bauern und Baumwollaufkäufern müssen transparent ausgehandelt werden; die Bauern das Recht haben sich in Verbänden zusammenzuschließen etc.
Darüber hinaus verpflichten sich die genannten Standards den Erfüllungsgrad weiterer Kriterien über die Zeit kontinuierlich zu verbessern. So soll sich z.B. die Anzahl der Bauern, die natürlichen Kompost im Anbau einsetzen, über die Zeit erweitern, der Anbau von stickstoffhaltigen Pflanzen wie z.B. Erbsen oder Soya in der Fruchtfolge soll erhöht werden, um die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern etc. Auch die Einhaltung dieser Verpflichtung wird von unabhängigen Prüfern überwacht und transparent auf den Webseiten der jeweiligen Organisationen berichtet. Partnern, die diese Bedingungen nicht einhalten, wird die CMIA oder BCI-Lizenz entzogen, so dass sich z.B. Tchibo und Ikea sicher sein können, dass sie mit den Zertifikaten CmiA und BCI nur „unbedenklich“ einkaufen. Das gilt auch für Fairtrade oder Bio-Baumwolle, die aber nur sehr kleine Marktanteile haben.
Anforderungen im Lieferkettengesetz decken sich zu 95 % mit bestehenden Standards
Wenn man sich nun die Risiken ansieht, die nach dem Lieferkettengesetz ausgeschlossen, eingegrenzt oder vermindert werden sollen, dann wird man feststellen, dass mindestens 95 % davon durch die Standards CmiA und BCI bearbeitet werden. Führt dies nun dazu, das Unternehmen, die CmiA und BCI zertifizierte Baumwolle beziehen, jetzt für diesen Bereich von den umfänglichen Berichtspflichten nach dem Lieferkettengesetz befreit werden? Leider eindeutig nein!
Nun kann man sich natürlich fragen, wer sicherstellt, dass ein Nachhaltigkeitsstandard nicht nur Greenwashing betreibt. Aber auch darauf hat die Bundesregierung, hat das BMZ schon vor Jahren eine Antwort gefunden, indem sie die internationale ISEAL Allianz mit Sitz in London mit ins Leben gerufen hat. ISEAL stellt u.a. sicher, dass die Standards, die Mitglied bei ISEAL werden wollen, bestimmte anspruchsvolle Kriterien erfüllen müssen. Sie benötigen eine transparente Governance Struktur mit Checks and Balances; sie müssen für die breite Öffentlichkeit transparent sein; die sozialen und ökologischen Kriterien müssen bestimmten Mindestanforderungen entsprechen, sie müssen eine unabhängige Wirkungskontrolle durchführen und an kontinuierlichen Verbesserungen arbeiten etc. Und ISEAL überprüft regelmäßig, ob die Mitgliedsstandards alle diese Kriterien einhalten. Wenn dies nicht der Fall ist, verlieren sie den ISEAL Mitgliedsstatus. Führt nun die Mitgliedschaft bei ISEAL dazu, dass ein Unternehmen mit Blick auf den Bereich, der von einem ISEAL anerkannten Nachhaltigkeitsstandard abgedeckt wird, von den Berichtspflichten nach dem Lieferkettengesetz freigestellt ist? Wiederum LEIDER eindeutig nein.
Benchmarking könnte Bürokratieproblem lösen
Was hier am Beispiel von CmiA und BCI dargestellt wurde, gilt für viele andere Standards auch außerhalb des Textilbereichs. Wenn aber nur im Textilbereich die genannten Baumwollstandards, der Fairware Standard und oder die Mitgliedschaftskriterien für den Grünen Punkt (der ja auch vom BMZ initiiert worden ist) als mit den Anforderungen des Lieferkettengesetzes gleichwertig anerkannt würden, würde für die betroffenen Unternehmen im Textilbereich ca. 2/3 der anfallenden Berichtspflichten wegfallen. Im Prinzip müsste dann das zuständige Bundesamt BAFA, das für die Überprüfung der Einhaltung der Pflichten aus dem Lieferkettengesetz zuständig ist, nur noch hingehen und in regelmäßigen Abständen feststellen, ob ein bestimmter Standard weiterhin die Verpflichtungen der internationalen Standardorganisation ISEAL einhält.
Unternehmen hätten Anreiz Nachhaltigkeitsstandards einzuführen
Ein solches Benchmarking würde zu dem den Anreiz für Unternehmen in der textilen Lieferkette erhöhen, sich den anerkannten Standards und dem Grünen Punkt anzuschließen. Dies wiederum würde den Markt für nachhaltige Textilien und die Nachfrage nach nachhaltiger Baumwolle erhöhen, was entwicklungspolitische substantiell positive Wirkungen entfalten würde. Das BMZ könnte hier nun über Bürokratieabbau Armutsbekämpfung betreiben, ohne einen Euro in die Hand zu nehmen.
Nun sind die MitarbeiterInnen der verschiedenen Institutionen und Behörden in den Logiken ihrer jeweiligen Durchführungsbestimmungen so gefangen, dass Vereinfachungsvorschläge von ihnen nicht erwartet werden können. Dazu braucht es politische und ministerielle Initiativen, eine Aufgabe über die sich auch die Ampelfraktionen leicht einigen können sollten.
Roger Peltzer hat jahrelang für die DEG-Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft gearbeitet und den Standard CmiA maßgeblich mit entwickelt. Er ist heute Mitglied des Vorstandes der Christlichen Initiative Romero in Münster (CIR) und Berater von Südwind e.V. Die CIR war und ist eine der Nichtregierungsorganisationen, die sich seit vielen Jahren für das Lieferkettengesetz stark gemacht hat und jetzt dessen Durchführung begleitet.