Dele Okojede denkt voraus. Die Internetzeitung des Pulitzer-Preisträgers aus Nigeria, “next”, will sich bei den Wahlen in zwei Jahren mit 10.000 Bürgerreportern vernetzen, die mit ihren Berichten aus Internetcafés und mit SMS-Nachrichten Fälle von Wahlbetrug melden sollen.
In Malaysia ziehen reihenweise bekannte Blogger ins Parlament ein, weil sie online ihre politische Kompetenz demonstriert und sich einen Namen gemacht haben, berichtete Premesh Chandran, Vorstand von malaysiakini.com, einer der populärsten Websites in Malaysia. Das Internet sei mittlerweile “zum wichtigsten Medium für politische Debatten” in dem südostasiatischen Land geworden, viel schwerer zu kontrollieren und zu zensieren als die Tageszeitungen.
In Pakistan geben Zeitungen Artikel, die sie wegen der Zensur nicht veröffentlichen können, an Online-Medien weiter, so Faizullah Jan, Dozent für Journalismus an der Universität Peshawar. In Karachi filmten “Civil Society Workers” mit ihren Mobiltelefonen Fälle von Wahlfälschungen und stellten sie auf youTube und im Bürgerkanal von CNN einem Weltpublikum zur Schau.
HYPE UM OBAMA
Die Liste der Beispiele, wie digitale Medien für mehr Transparenz und demokratische Partizipation sorgen können, ist lang. In Berlin trugen eine Reihe hochkarätiger Experten am Donnerstag ihre Erfahrungen vor, darunter Nancy Scola, Redakteurin der Online-Publikation “techpresident” und Dozentin für Neue Medien und Politik an der Universität New York.
Wer den Ausführungen Scolas folgte, erlebte den Erfolg Barack Obamas vor allem als quantitatives Phänomen: Mehr als 600 Millionen US-Dollar generierte Obama über sein soziales Netzwerk my.barackobama.com. Seine mehr als 800 Videoclips, von 100 Medienleuten im Wahlkampfteam produziert und online gestellt, wurden rund 20 Millionen Mal abgerufen, Freiwillige tätigten neun Millionen Telefonanrufe, um Wähler auf die Seite des demokratischen Kandidaten zu ziehen.
Doch kann dieses demokratische Engagement in die Obama-Administration hinüber gerettet werden? Können “5.960.435 Befürworter” Obamas auf Facebook und mehr als 512.000 “Followers” auf Twitter den Druck aufrecht erhalten, um in den USA eine Politik zugunsten der Menschen statt der Konzerne durchzusetzen?
STIMME DER MARGINALISIERTEN
Professor Harvey Dugmore vom Lehrstuhl für Medien und Mobilkommunikation an der Schule für Journalismus und Medienstudien an der Rhodes Universität in Südafrika ist optimistisch, dass sich Menschen, die bislang vom politischen Prozess ausgeschlossen waren, mit neuen Medien mehr Gehör verschaffen können. Bei den Wahlen in Ghana 2008 sandten mehr als 4000 Beobachter aus der Zivilgesellschaft die abgegebenen Stimmen zur Kontrolle an eine “Parallele Wahlauswertung” (Parallel Vote Tabulation”), um Wahlfälschungen nach Möglichkeit zu verhindern.
Oppositionelle in Simbabwe und mehr als vier Millionen Exilanten halten über die Online-Plattform “Sokwanele” untereinander Kontakt. Eine interaktive Google-Karte illustriert die staatliche Gewalt und holt die Opfer der Übergriffe des Mugabe-Regimes aus der Anonymität ihrer Dörfer. Mehr als 2100 Fälle staatlicher Gewalt wurden so berichtet. Wichtigstes Kommunikationsmittel sind Mobiltelefone - die Hälfte der Bevölkerung besitzt eines. Bis 2012, sagt Dugmore voraus, werden zwei Drittel der Afrikaner ein Mobiltelefon nutzen.
WANDEL POLITISCHER KULTUR
Aber eine andere Entwicklung könnte viel wichtiger sein: Die neuen Medien und die Kampagnen, die über sie laufen, verändern die politische Kultur. Wo früher Generationen dieselbe Partei wählten und wo einzelne Persönlichkeiten oder gar ein auf einen “Big Man” konzentrierter Personenkult an der Tagesordnung waren, stehen nun politische Themen im Vordergrund. “Shift from identity to issue based political affiliation” nennt Dugmore diese Tendenz, die von den digitalen Medien entscheidend unterstützt werde.
Das Ergebnis - der “größte Verdienst neuer Medien” - ist für den Wisschenschaftler das Wachstum des öffentlichen Raumes in Afrika. Eine radikale Verbesserung der politischen Partizipation bahnt sich an.
Die Stärkung der Informationsfreiheit in den Entwicklungsländern und die Unterstützung unabhängiger Medien sei ein wichtiger Faktor in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, sagte BMZ-Staatsekretär Erich Stather der Konferenz. In der Praxis spielt die Medien-Entwicklungszusammenarbeit vom Volumen her aber eine sehr untergeordnete Rolle, eine BMZ-Strategie zur Förderung von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien im Dienste der Entwicklung wird von vielen Experten vermisst.
Ein Lichtblick ist in dieser Hinsicht das Internationale Institut für Journalismus (IIJ), das bei InWEnt angesiedelt ist und jungen Journalisten aus Entwicklungsländern in dreimonatigen Kursen die Chance zu bietet, ihr journalistisches Können zu verbessern. Lange Zeit wurden die neuen Medien auch beim IIJ mangels eigener Kompetenz als zweitrangig betrachtet. Eine Konferenz-Website, die von den IIJ-Stipendiaten zusammengestellt wurde, geht nun in interaktiver Weise mit dem Thema um.
Auch bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist die Überheblichkeit der Profi-Journalisten der Einsicht gewichen, dass nur eine Präsenz in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter neue, junge Leserschichten erschließen kann. Im deutschen “Superwahljahr 2009”, so Geschäftsführer Roland Gerschermann, könnten bereits neue Einsichten gewonnen werden.
FAZ-Herausgeber Werner D’Inka, der im FAZ-Verlag im Auftrag der Bundesregierung auch die entwicklungspolitische Fachzeitschrift “Entwicklung und Zusammenarbeit (e+z) publiziert, sieht im Bloggen und Twittern indes keine ganz neue Entwicklung. Schon Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre sei mit der Beeinflussung von Wählern unter Umgehung der Medien begonnen worden: Damals hielt das Klinkenputzen durch Politiker Einzug in die deutsche politische Kultur.