Silvia Marcelia Tibi Aguinda. Foto: Klimab?ndnisFrankfurt a.M. (epo). - Aus Anlass des Internationalen Tages der indigenen Völker am 9. August hat das Klima-Bündnis europäischer Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder die Lage im Amazonasgebiet Ecuadors aufgegriffen. Viele indigene Völker des südamerikanischen Landes sind durch die Erdölförderung in ihrem Überleben bedroht. Silke Lunnebach, Ethnologin beim Klima-Bündnis, sprach mit Silvia Marcelia Tibi Aguinda in der Provinz Pastaza im Amazonasgebiet von Ecuador. Seitens ihres Vaters gehört sie dem Volk der Shuar an, von Seiten der Mutter dem Volk der Kichwa. Silvia ist 28 Jahre alt, verheiratet und hat drei Töchter. Bis 2003 war sie Präsidentin der ecuadorianischen Indigenenorganisation FENAKIPA (Federaci?n de la Nacionalidad Kichwa del Pastaza).

Frau Aguinda, die UNO hat den 9. August zum "Internationalen Tag der indigenen Völker" erklärt, um auf die Situation der indigenen Völker weltweit aufmerksam zu machen. Was halten Sie davon?

Ich finde diese Initiative sehr gut. Weltweit werden indigene Völker als Minderheit noch immer ausgegrenzt, ihre verbrieften Landrechte missachtet. Der rücksichtslose Abbau von Bodenschätzen, der Kahlschlag der Regenwälder oder das Aufstauen von Flüssen bedrohen unsere Lebensgrundlage und Kultur. In vielen Ländern steht Landraub noch immer auf der Tagesordnung, teilweise wird die Diskriminierung sogar systematisch betrieben. In Ecuador dreht sich der jüngste Konflikt um die Ausbeutung von Erdölvorräten in der Provinz Pastaza. Die verschiedenen Völker wie die Achuar und Shuar sprechen sich dagegen aus, dass die Unternehmen in ihre Territorien eindringen und systematisch Neid und Missgunst säen, um Gemeindemitglieder auf ihre Seite zu ziehen. Es ist wichtig, öffentlich auf unsere Situation aufmerksam zu machen. Nur so können wir unsere Rechte durchsetzen und auf die Politik unserer Regierung Einfluss nehmen.

Sie kommen aus einem indigenen Dorf im ecuadorianischen Amazonasgebiet. Wie sieht der Alltag dort aus?

Meine Gemeinde heißt Yana Mar? und befindet sich am Ufer des Flusses Pastaza. Hier leben etwa 80 Menschen, viele Kinder. Wir haben keine eigene Schule, unsere Kinder besuchen eine staatliche Schule, drei Kilometer weiter unten am Fluss. Normalerweise werden sie auf Spanisch unterrichtet. Selten gibt es dort auch indigene Lehrer, die Kichwa sprechen. Die Ausbildung an rein staatlichen Schulen oder durch kirchliche Vertreter ist ein Problem, weil die Kinder nichts über unsere Kultur und unsere Werte erfahren. Dadurch geht viel wertvolles Wissen verloren. Wenn die Kinder in der Schule sind, gehen die Frauen in ihren Waldgarten, der Chacra genannt wird.

Ihre Gemeinde liegt im "Block 24", einem Erdölfördergebiet, für das unter anderem das amerikanische Erdölunternehmen Burlington Ressources verantwortlich ist. Wie wirkt sich dies auf das Leben in Ihrer Gemeinde aus?

Indigener im Amazonas. Foto: Klimab?ndnisWir werden vor allem durch den Lärm belästigt. Durch die Leute, die Explosionen und die Hubschrauber. In der Nähe gibt es einen Wasserfall. Früher war dieser Ort sehr mystisch und geheimnisvoll. Nun hat der Geist ihn verlassen, weil es ihm zu laut war. Auch jagen kann man heute nicht mehr. Früher sind die Männer unserer Gemeinde auf die Jagd gegangen. Heute gibt es kaum noch Tiere im Wald. Fleisch zu essen ist Luxus. Wir essen viel Fisch, den kann man durch Lärm nicht verscheuchen. Aber es gab auch schon Unfälle, bei denen Erdöl ausgelaufen ist. Die kleineren Flüsse und Bäche in der Nähe wurden verseucht und drei oder vier Jahre ohne Fische, ohne Leben. Ich habe auch gehört, dass in manchen Gebieten, in denen schon lange Erdöl gefördert wird, Krankheiten auftreten, die vorher nicht bekannt waren.

Ecuador hat bereits 1998 die ILO-Konvention 169 unterzeichnet - das erste internationale Abkommen, das die Rechte der indigenen und in Stämmen lebenden Völker einbezieht. Unter anderem ist hier das Recht auf eigenes Land festgeschrieben. Hat Ihre Gemeinde kein eigenes Territorium?

Doch, schon. Aber die Ausweisung als Territorium bedeutet lediglich, dass wir den Boden selbst nutzen dürfen. Die Ressourcen sind hier nicht mit eingeschlossen.

Alles was mehr als einen Meter unter der Erdoberfläche liegt, also auch das Erdöl, gehört weiterhin dem Staat. Es heißt zwar, dass wir konsultiert werden müssen, bevor Erdölfirmen in unsere Gebiete eindringen; aber was wir sagen hat trotzdem meist keine Auswirkungen. Außerdem versuchen Mitarbeiter der Unternehmen die indigenen Gemeinden von den Vorteilen der Erdölförderung zu überzeugen und so auf ihre Seite zu ziehen oder zu kaufen. Der Kapitalismus-Virus kommt in die Gemeinden und zerstört sie. Es kommt zur Spaltung innerhalb der Gemeinde.  Aus Geldgründen kommt es sogar zur Teilung ganzer Familien. Die Erdölfirmen säen Zwietracht und das ganz bewusst. Die Welt tanzt nach dem Geld. Es reicht, einige wenige zu bestechen, um sich durchzusetzen.

Die Erdölfirmen wie auch staatliche Stellen sprechen oft von den positiven Auswirkungen, wie zum Beispiel die Verbesserung der Infrastruktur.

Natürlich verbessern die Firmen die Infrastruktur in den betroffenen Gebieten, aber zu welchem Preis? Viele Gemeinden freuen sich zunächst über den Bau von Straßen, weil es vieles erleichtert. Aber auf den Straßen lässt sich auch schneller und einfacher Holz transportieren und Leute von außerhalb können leichter in die Gebiete eindringen. In meiner Gemeinde ist es inzwischen verboten, Leute oder TouristInnen von außerhalb mitzubringen. Es kam vor, dass sie Medizinalpflanzen mitgenommen haben, die dann draußen verkauft oder patentiert wurden. Manchmal sind es gerade die großen Firmen, wie Erdölunternehmen, die diese Leute bezahlen. Sie wollen unsere Kultur und unsere Schwächen kennen lernen. Das ist ihre Waffe gegen uns. Deshalb sind wir vorsichtiger geworden.

Was kann man ihrer Meinung nach gegen diese Situation tun?

Es ist wichtig, dass die Leute in den Gemeinden geschult werden, bevor sie mit den Unternehmen verhandeln. Sie müssen sich selbst für ihre Rechte einsetzen können. Die Vertreter von Erdölunternehmen verschenken ein paar Kilo Zucker und Reis und bekommen das Recht, über Jahrzehnte Erdöl zu fördern. Manchmal ist die Bevölkerung auch gezwungen, selbst Holz einzuschlagen, um wenigstens ein kleines Einkommen zu haben. Selbst hierbei werden sie oft betrogen und haben noch nicht das Wissen, um für ihr Recht zu kämpfen. Außerdem fehlen indigene Anwälte, die unsere Interessen vertreten. Die meisten Anwälte verlangen zu viel Geld, das kann sich niemand leisten.

Indigene im Amazonas. Foto: Klimab?ndnis

Was fordern Sie von den Erdölunternehmen und von der Regierung?

Wir sind nicht strikt gegen die Erdölförderung oder die industrielle Entwicklung. Nur gegen die Art und Weise, wie sie geschieht. Was bitte heißt denn Entwicklung? 1000 Liter Erdöl zu vergießen und die Umwelt zu verseuchen? Solche Unfälle wären oft leicht zu verhindern, wenn sich die Unternehmen um entsprechende Schutzvorrichtungen kümmern würden. Außerdem verlangen wir, dass die Firmen und der Staat unsere juristisch verbrieften Rechte als Völker respektieren. Wir müssen ein Mitspracherecht haben, wenn es um unsere Territorien, unseren Lebensraum geht. Die Realität sieht leider meist anders aus. Wir wollen die Entwicklung nicht aufhalten, sondern uns als selbstständige Völker eingliedern mit unseren Werten, unseren Bräuchen und unserer Kultur. Ich will, dass meine Enkel noch einen Baum kennen und wissen, was der Regenwald ist. Immer mehr sieht man auf den Karten, dass dort, wo früher nur Regenwald war, jetzt leere Flecken sind. Man kann nicht alles verändern, aber einiges zurückholen. Unsere Umwelt heißt für uns Nahrung und Medizin. Wir sind ein Teil der Entwicklung. Aber unsere Entwicklung ist eine ohne die Zerstörung der Umwelt.

 Erdölförderung im Amazonasgebiet
 Ecuador (Wikipedia)

KLIMA-BÜNDNIS/ALIANZA DEL CLIMA

Dem Klima-Bündnis der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder gehören europaweit über 1300 Städte und Gemeinden an. In Deutschland sind derzeit 388 Städte und Gemeinden Mitglied im Klima-Bündnis, darunter auch Berlin, Frankfurt a.M., München, Hamburg, Bremen und Stuttgart. Mit ihrem Beitritt verpflichten sich die Mitglieder, klimaschädigende Emissionen durch geeignete Maßnahmen, vor allem in den Bereichen Energie und Verkehr, auf ein nachhaltiges Niveau zu reduzieren. Gleichzeitig unterstützen sie die Bündnispartner im Amazonasgebiet bei der Regenwalderhaltung. Die europäische Geschäftsstelle in Frankfurt am Main koordiniert die gemeinsamen Aktivitäten, berät und vernetzt die Mitglieder, initiiert Klimaschutz-Kampagnen und -Projekte und vertritt die Interessen der Städte, Gemeinden und der indigenen Partner auf europäischer und internationaler Ebene.

[Fotos: Klimabündnis]

 Klima-Bündnis


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