Zuckerrübenernte in der EUBerlin (epo.de). - Während in den von der Wirtschaftskrise gebeutelten EU-Ländern das Gespenst des Protektionismus umgeht, drängt die EU ihre Partner in Afrika nach wie vor weitreichende Freihandelsabkommen zu unterzeichnen - und damit ihre Märkte für Produkte aus Europa zu öffnen. Parlamentsabgeordnete und Bauernvertreter aus Kenia und Sambia äußerten jetzt in Berlin ihr Unverständnis für dieses Vorgehen, das sie als “Stich in den Rücken der Afrikaner” betrachten. Sie verlangen faire Handelsbedingungen bei der Ausgestaltung der “Economic Partnership Agreements” (EPAs).

Seit Anfang des Jahres subventioniert die EU erneut den Export von Milchprodukten, um die europäische Milchwirtschaft zu stabilisieren (epo.de berichtete). “Die europäische Dumping-Milch gefährdet die Lebensgrundlage der afrikanischen Bauern”, erklärte Tobias Reichert, Agrarexperte bei Germanwatch. Die Verhandlungen über die EPAs hätten schon Ende 2007 abgeschlossen sein müssen, aber nur einzelne Länder wie Kamerun hätten sie unterzeichnet, und kein afrikanisches Parlament habe bislang ein EPA ratifiziert.

Warum dies so ist, erläuterte Catherine Kemura, Abgeordnete aus Kenia und Mitglied der East African Legislative Assembly (EALA). “Eine bevorzugte Behandlung ist gut und schön”, sagte die Parlamentarierin am Dienstag abend bei einer von nichtstaatlichen Organisationen anberaumten Diskussion in der Berliner NABU-Bundesgeschäftsstelle und bezog sich damit auf die Handelspräferenzen, die die EU früheren Kolonien in Afrika, der Karibik- und Pazifikregion einräumt (AKP-Staaten). “Aber die produkiven Voraussetzungen dafür müssen vorhanden sein.”

Als Beispiel nannte sie die Zuckerquote, die Kenia von der EU eingeräumt wurde. Sie ist ein Luftnummer, denn Kenia kann überhaupt keinen Zucker in die EU exportieren, weil die Produktion nicht einmal für den heimischen Bedarf ausreicht. Es fehlt an Düngemitteln und Maschinen, und selbst wenn diese vorhanden wären, könnte man auf dem Gemeinsamen Markt nicht konkurrieren, weil die kenianischen Exporte im Vergleich zur agroindustriellen Produktion in der EU viel zu teuer wären. Und dies gelte nicht nur für Zucker, sondern auch für Mais oder Baumwolle, so Kemura. Wie könnten es afrikanische Kleinbauern mit Konzernen wie Nestlé aufnehmen?

AM TROPF DER EU

Ruthpearl Wanjiru Ngángá von der Agentur für Entwicklungszusammenarbeit und -forschung (ACORD) in Kenia betont einen weiteren Aspekt, der die EPAs zu einem gefährlichen Instrument aus der Sicht afrikanischer Staaten macht: Mit dem von der EU geforderten Wegfall von Importsteuern und -zöllen wäre vielen Ländern die wichtigste staatliche Einnahmequelle entzogen. Nicht nur die Landwirtschaft, auch andere Sektoren der Wirtschaft würden in Mitleidenschaft gezogen, soziale Dienstleistungen wären nicht mehr finanzierbar. Und der “Druck der EU” auf die Verhandlungspartner in den regionalen afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaften führe zu einer regionalen Desintegration.

Foto: © Jörg Peter / Oxfam Deutschland

Die Lobbyarbeit zivilgesellschaftlicher afrikanischer Organisationen ist aus der Sicht von Ruthpearl Wanjiru Ngángá bislang “nicht sehr erfolgreich” gewesen. Die Europäische Kommission lehne eine Diskussion über Themen, die in der Doha-Runde der Welthandelsorganisation WTO noch umstritten, in den EPAs aber bereits fixiert sind, schlichtweg ab. Dies sei bei den EPAs “nicht verhandelbar”, laute die Argumentation.

Die sambische Milchbäuerin und Vorsitzende des ostafrikanischen Bauernnetzwerks (ESAFF), Mary Sakala, findet die Vorstellung irrwitzig, Kleinbauern in Sambia könnten gegen subventionierte Milchprodukte aus den EU-Ländern konkurrieren. Es fehle an Infrastruktur und Produktionskapazität, und auch für die Steigerung der Qualität der Produkte benötige man “Capacity Building”.

Wanjiru Ngángá erinnert an die letzte Dumpingwelle von Milchprodukten aus der EU in Afrika. Als die heimische Produktion am Boden lag, hoben manche Regierungen notgedrungen die Steuern für Milchimporte an und retteten damit diesen Wirtschaftszweig. Würden die EPAs unterzeichnet, wäre diese Möglichkeit zum Schutz heimischer Produzenten nicht mehr gegeben.

HANDEL UND ENTWICKLUNG

Die EU zieht sich hinsichtlich der Kritik an den EPAs häufig auf die Position zurück, für entwicklungspolitische Aspekte seien andere Instrumente vorhanden, die EPAs seien reine Freihandelsabkommen. Catherine Kemura lässt diesen Einwand nicht gelten. Handel und Entwicklung seien nicht zu trennen. Ein fairer Handel würde so nachhaltig wie kein anderes Instrument die Entwicklung fördern. Und es geht auch um die Frage, ob Afrika am Tropf der EU hängen soll oder eine Chance auf eigenständige Entwicklung erhält. Kemura beantwortet sie kurz und bündig: “Wir wollen fairen Handel, nicht betteln!”

“Die europäischen NGOs sollten ihre Politiker auffordern, nochmals darüber nachzudenken, was sie machen”, appelliert Ruthpearl Wanjiru Ngángá an Oxfam Deutschland, Germanwatch, der Kirchlichen Arbeitsstelle Südafrika, der Koordination Südliches Afrika, terre des hommes, FIAN und den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), die die Parlamentarierdelegation eingeladen haben.

Im Rahmen einer zehntägigen Reise werden die afrikanischen Parlamentarier und Bauernvertreter ihre Standpunkte Entscheidungsträgern in fünf europäischen Ländern vortragen. Am Dienstag abend war keine Gelegenheit dazu, denn der von den NGOs eingeladene Vertreter des deutschen Landwirtschaftsministeriums war nicht erschienen.

Foto (gr.): © Jörg Peter / Oxfam Deutschland

www.germanwatch.org
www.oxfam.de

Back to Top

Wir nutzen ausschließlich technisch notwendige Cookies auf unserer Website.