G20 Gipfel in London 2009

Berlin (epo.de). - Drei Wochen vor dem G20 Gipfel in London, der über Maßnahmen gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise beschließen soll, haben hochrangige Mitglieder einer UN-Expertenkommission am Montag in Berlin die Legitimität der 20 reichsten Industrie- und Schwellenländer angezweifelt, die Reform des Weltwirtschaftssystems zu dominieren. Notwendig seien “Global Governance”-Institutionen und ein globales Währungssystem, sagte der US-amerikanische Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Um vor allem die notleidenden Entwicklungsländer unterstützen zu können, schlug Stiglitz eine neue Kreditfazilität vor, die sich selbst verwalten solle. Die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul plädierte für einen Weltwirtschaftsrat unter dem Dach der Vereinten Nationen, der eine gerechte Vertretung aller Länder gewährleisten solle.

Die UN-Expertenkommission zur Reform des internationalen Geld- und Finanzsystems, der Stiglitz vorsitzt, will das Gremium, das eine grundlegende Reform des Weltwirtschaftssystems in die Hand nimmt und globalere politische Regulierungsstrukturen aufbaut, bei den Vereinten Nationen und nicht bei den G20-Staaten angesiedelt wissen. Die G20 repräsentieren derzeit rund zwei Drittel der Menschheit. Neben den acht führenden Industriestaaten USA, Japan, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Kanada, Italien und Russland gehören der informellen Gruppe Argentinien, Australien, Brasilien, die Volksrepublik China, Indien, Indonesien, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei sowie die Europäische Union an.

NEUE KREDITFAZILITÄT

Joseph Stiglitz. Foto: Columbia University, New York“Die G20 sind nur 20 von 190 Ländern”, sagte Stiglitz, und sie seien nach nicht immer nachvollziehbaren Kriterien ausgesucht. Die Finanzkrise habe zutage gefördert, “dass wir eine globalisierte Wirtschaft haben, aber keine Institutionen, diese zu managen”. Die 1944 in Bretton Woods gegründeten internationalen Finanzinstitutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) seien aufgrund der vergebenen Stimmrechte von den Industrieländern dominiert und hätten die Deregulierung “weltweit gepusht”.

Stiglitz sieht Weltbank und IWF aufgrund der jahrzehntelangen Dominanz durch wenige Industriestaaten “geschichtlich belastet” und diskreditiert. Er schlägt eine neue Kreditfazilität vor, die sich selbst verwaltet und sich unter anderem aus Quellen wie einer internationalen Börsenumsatz- oder Finanz-Transaktionssteuer speisen könnte.

Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul hingegen sieht den Platz einer solchen Kreditfazilität bei der Weltbank, deren deutsche Gouverneurin sie qua Amt ist. Außerdem plädiert sie für einen Weltwirtschaftsrat unter dem Dach der Vereinten Nationen und ein “International Panel on Economic Cooperation”. Der Ausschuss könnte analog zum Zwischenstaatlichen Ausschuss über den Klimawandel (IPCC) den Weltwirtschafsrat wissenschaftlich beraten.

Der aus Kolumbien stammende frühere UN-Untergeneralsekretär José Antonio Ocampo, der wie Stiglitz an der University of Columbia in New York lehrt, erklärte auf der Berliner Expertenkonferenz im BMZ, die Bretton Woods-Institutionen seien “von den Industriestaaten und deren vorherrschenden Ideen gefangen genommen” worden. Bei den G20 seien zu wenige Entwicklungsländer repräsentiert.

Der malaysische Ökonom Jomo Kwame Sundaram, Assistant Secretary-General for Economic Development im United Nations Department of Economic and Social Affairs (DESA), kritisierte vor allem die Stimmenverteilung beim IWF, in dem die Europäer stark überrepräsentiert seien. Es sei keine wesentliche Verbesserung der Glaubwürdigkeit internationaler Institutionen, wenn die G20 als Krisenmanager fungierten.  

Die bulgarische Weltbank-Vizepräsidentin Kristalina Georgieva sagte, aufgrund der Finanzkrise hätten 129 Entwicklungsländer in diesem Jahr ein Finanzierungsdefizit von insgesamt 270 bis 700 Milliarden US-Dollar (epo.de berichtete). Die Entwicklungsbanken könnten höchstens 100 bis 120 Milliarden Dollar aufbringen. Es bedürfe einer Mobilisierung aller finanziellen Ressourcen, damit der gerade erst in Gang gekommene Aufbau der Privatwirtschaft in ärmeren Entwicklungsländern und die Mikrofinanzierungsinstitutionen nicht in Schieflage gerieten.

NGOs MACHEN DRUCK

Beim internationalen Politikdialog zur Finanzkrise und ihren Folgen für die Entwicklungsländer im BMZ in Berlin mahnten Vertreter von NGOs an, über der Finanzkrise dürften andere Politikfelder nicht vergessen werden. Um dem Klimawandel angemessen begegnen zu können, seien ab 2012 jährlich 110 Milliarden Euro notwendig, sagte der Germanwatch-Vorstandsvorsitzende Klaus Milke. Außerdem müsse die Zivilgesellschaft sich stärker als bisher in den Reformprozess einbringen können.

Der Direktor des Global Policy Forum Europe, Jens Martens, forderte ebenfalls, es dürfe “keine exklusiven Clubs” mehr geben. Die Vereinten Nationen müssten im Zentrum des Reformprozesses stehen. Es gelte zudem, eine internationale Organisation für Steuerangelegenheiten zu gründen und die Rating-Agenturen, die eine gehörige Portion Mitschuld an der Krise tragen, zu entprivatisieren.

Als Zwischenschritt für eine bessere Vertretung der Entwicklungsländer in den internationalen Finanzinstitutionen können sich Stiglitz und Wiezorek-Zeul eine Änderung der Stimmrechtsanteile vorstellen. Stiglitz brachte eine "doppelte Mehrheit" bei Entscheidungen ins Spiel. In diesem Fall müsste eine Mehrheit der Stimmrechte, aber auch eine Mehrheit der abstimmenden Staaten erreicht werden, ehe eine Entscheidung als beschlossen gilt. Derzeit dominieren vor allem die USA und europäische Staaten die Abstimmungen, weil sie die meisten Anteile bei IWF und Weltbank gezeichnet haben. Auch über ein internationales Insolvenzrecht zur Entlastung von hochverschuldeten und vom Staatsbankrott bedrohten Ländern werden nachgedacht, sagte Stiglitz.

Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul kündigte zudem an, das BMZ und die Kreditanstalt für Wiederaufbau seien dabei ein Programm aufzulegen, mit dem die Mikrofinanzierungsinstitute gestützt werden könnten. Infolge der Finanzkrise werden auch bei diesen Einrichtungen, die Kleinkredite an Arme in Entwicklungsländern vergeben, die Mittel knapp.

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