ecchrBerlin. - Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und die kolumbianische Gewerkschaft Sinaltrainal haben bei der Staatsanwaltschaft Zug in der Schweiz Strafanzeige gegen die Nestlé AG und führende Direktoren des Konzerns eingereicht. Ihnen wird vorgeworfen, wegen unterlassener Schutzmassnahmen mitverantwortlich für die Ermordung des Gewerkschafters Luciano Romero im Jahre 2005 zu sein. Die Klage schafft einen Präzedenzfall: Erstmals könnte ein Schweizer Unternehmen für im Ausland begangenes Unrecht in der Schweiz haftbar gemacht werden.

In Kolumbien herrscht nach Angaben des ECCHR bis heute ein bewaffneter Konflikt, in dem Gewerkschafter und andere soziale Gruppen systematischer Verfolgung ausgesetzt sind. Luciano Romero wurde am 10. September 2005 in Valledupar im Nordosten Kolumbiens von Paramilitärs mit 50 Messerstichen ermordet. Er hatte zuvor jahrelang für die kolumbianische Nestlé-Tochter Cicolac gearbeitet. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, die Tat fahrlässig nicht verhindert zu haben.

Romero erhielt nach ECCHR-Darstellung Todesdrohungen, nachdem er vom lokalen Nestlé-Management fälschlich als Guerillero diffamiert worden sei. Der paramilitärische Ex-Kommandant Salvatore Mancuso habe ausgesagt, Cicolac habe Zahlungen an seine Einheiten geleistet. Die Schweizer Unternehmensführung habe vom Fehlverhalten ihrer Vertreter in Kolumbien und der Bedrohung der Gewerkschafter vor Ort gewusst. Sie sei dennoch untätig geblieben.

Die strafrechtliche Relevanz dieser Unterlassung hat nun die Zuger Staatsanwaltschaft zu prüfen. Auch hat sie zu entscheiden, ob in diesem Fall erstmalig ein Unternehmen selbst statt einzelner Mitarbeiter strafrechtlich belangt wird. Die Regelung des Artikels 102 zur Strafbarkeit von Unternehmen wurde 2003 in das Strafgesetzbuch eingefügt und ist seither kaum zum Einsatz gekommen.

"Diese Anzeige ist ein Hoffnungsschimmer. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens werden uns die Ermittlungen helfen bei der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit für dieses Verbrechen, einen angekündigten Tod, wie so viele in Kolumbien", sagte Opferanwalt Leonardo Jaimes. ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck erklärte: "Wenn in diesem Präzedenzfall erstmalig strafrechtliche Massstäbe gesetzt werden für Unternehmensverantwortung in Konfliktgebieten, gibt dies im Ausland engagierten Firmen wichtige Hinweise für ihr Risikomanagement. Und es ermutigt Gewerkschaften weltweit, die Justiz zur Verteidigung ihrer Rechte zu nutzen."

Das katholische Hilfswerk Misereor unterstützt die am Montag in der Schweiz eingereichte Strafanzeige gegen den Lebensmittelkonzern Nestlé. "Das Gebot, die nötige Sorgfalt zur Achtung der Menschenrechte walten zu lassen, endet nicht an den eigenen Werkstoren, sondern umfasst die gesamte Wertschöpfungskette eines Produkts", betonte Hein Brötz, Leiter der Abteilung Lateinamerika bei Misereor. "In einer globalisierten und über Staatsgrenzen hinweg vernetzten Wirtschaftswelt können sich Mutterkonzerne nicht mehr ohne weiteres jeglicher Verantwortung für die Aktivitäten ihrer ausländischen Tochterunternehmen entziehen."

Misereor fördert in Kolumbien seit vielen Jahren die Arbeit von Gruppen, die sich gegen weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen zur Wehr setzen. Das katholische Hilfswerk stellt sich dabei insbesondere an die Seite von bedrohten Richtern, Anwälten und Gewerkschaftern und kämpft unter anderem gegen Straflosigkeit und für faire Gerichtsverfahren.   

www.ecchr.de
www.misereor.de

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