niger_lage_150Niamey. - Sieben führende Hilfsorganisationen haben vor einer dramatischen Ernährungslage im Niger gewarnt. In einer Umfrage bestätigten 70 bis 90 Prozent der Menschen im Westen und Osten des Landes, dass ihre Nahrungsvorräte vor der nächsten Ernte aufgebraucht sein werden. 100 Prozent der Gemeinden bestätigten, dass sie bereits jetzt ihre Mahlzeiten reduzieren, weil sie nicht genügend zu essen haben.

Die Einschätzungen sind das Ergebnis einer Studie des Assessment Capacities Projects (ACAPS) und des Emergency Capacity Building Projects (ECBP), einer Koalition internationaler Hilfsorganisationen, darunter CARE, Oxfam, Plan International, Save the Children und World Vision. Die Gebergemeinschaft müsse jetzt handeln, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, fordern die Hilfswerke.

Die Studie, an der sich auch das Welternährungsprogramm WFP sowie die nigrische Regierung beteiligten, sei der jüngste Beweis dafür, dass dem Niger und weiteren Teilen der Sahelzone eine humanitäre Katastrophe droht, wenn die internationale Gemeinschaft jetzt nicht rechtzeitig Mittel für Nothilfe und Vorsorge bereitstellt, so die NGOs. "In den Dörfern sehen wir immer mehr Mütter, die ihren Kindern nur noch einmal am Tag etwas zu essen geben können. Wir können nicht länger warten. Bald wird es nur noch eine Mahlzeit alle zwei Tage geben, dann hungern die Kinder und leiden unter Verkrüppelung und den lebenslangen körperlichen Folgen der Mangelernährung", warnte Johannes Schoors, CARE-Länderdirektor im Niger. "Viele Familien haben sich noch nicht von den Dürren der Jahre 2005 und 2010 erholt. Sie brauchen jetzt Hilfe."

Die sogenannten "Hungermonate", in denen die Menschen in der Region ihre Mahlzeiten reduzieren müssen, beginnen normalerweise nicht vor Mai oder Juni. Aber die befragten Gemeinden in Diffa und Tillabéri melden bereits jetzt Engpässe – "ein deutliches Signal dafür, dass sich die Situation noch verschlimmern wird", so die Hilfswerke.

Die wichtigsten Ergebnisse der Befragung:
  • 100 Prozent der Familien geben an, die Zahl ihrer täglichen Mahlzeiten bereits reduziert zu haben.
  • Zwischen 70 und 90 Prozent der Menschen schätzen, dass ihre Nahrungsvorräte vor der nächsten Ernte aufgebraucht sein werden.
  • Bauern und Viehzüchter nennen die diesjährige Ernte doppelt so schlecht wie die von 2009, als eine katastrophale Dürre und hohe Lebensmittelpreise zu einer landesweiten humanitären Katastrophe führten.
  • Ein Viertel der befragten Gemeinden bestätigte, dass Kinder nicht mehr in die Schule gehen, weil Familien auf der Suche nach Arbeit wegziehen, die Schulkantinen geschlossen wurden oder die Kinder selbst arbeiten müssen.
  • Die Menschen im Niger sind gezwungen, ihre Nutztiere zu verkaufen, um sich Essen leisten zu können. So aber wird der Markt übersättigt und die Preise für Vieh sinken drastisch.
  • 97 Prozent der Gemeinden gaben an, dass die zu magere Produktion von Tierfutter sie vor ernste Probleme stellt.
  • Schätzungsweise 80 Prozent der Befragten haben nicht genug Saatgut, um für die nächste Anbausaison zu säen. Das bedeutet im schlimmsten Fall ein weiteres Jahr Hunger.
  • Knapp ein Drittel der Bevölkerung ist in Folge der Missernte von 2009 immer noch verschuldet

Die Situation im Niger wird nach Angaben der Hilfsorganisationen dadurch erschwert, dass einige Nachbarstaaten mit einer instabilen Sicherheitslage zu kämpfen haben. So fliehen etwa aus Mali viele Menschen in den Niger, was für die ansässige Bevölkerung und die wenigen Ressourcen eine zusätzliche Belastung bedeutet. Gastarbeiter, die normalerweise ihre Familien aus dem Ausland unterstützten, kehrten in den letzten Monaten mit leeren Händen aus Nachbarländern in den Niger zurück.

"Die Menschen kommen hier völlig erschöpft und hungrig an und benötigen das Lebensnotwendigste. Aber der Niger kann die Flüchtlingsströme nicht mehr bewältigen. Die Versorgung der Flüchtlinge bringt viele Familien an die Grenzen ihrer Überlebensfähigkeit", so Chris Palusky, World Vision Nothilfekoordinator für Mali und Niger. "Arme Dörfer sind mit den Flüchtlingsströmen überfordert, vielerorts hat sich die Bevölkerung in wenigen Monaten versiebenfacht. Die Flüchtlinge leben in überfüllten Häusern und Notunterkünften. Es ist ein Rennen gegen die Zeit, um die Gastfamilien zu unterstützen, bevor sie unter der Belastung zusammenbrechen. Eine umfangreiche und schnelle Hilfe wird nicht nur Leben retten, sondern auch die Gemeinden stärken, die schon jetzt die Hauptlast dieser Katastrophe tragen."

In der gesamten Sahelzone in West- und Zentralafrika sind Schätzungen zufolge rund 13 Millionen Menschen vom Hunger bedroht, darunter eine Million Kinder, denen starke Mangelernährung droht. Unregelmäßige Regenfälle, Pflanzenkrankheiten und Heuschreckenplagen zerstörten 2011 ganze Ernten und damit die lebenswichtigen Vorräte für die Hungermonate in diesem Jahr. Im Niger allein sind mehr als sechs Millionen Menschen vom Hunger bedroht, knapp zwei Millionen benötigen dringend unmittelbare Nahrungshilfe.

"Die Menschen im Niger stehen gleich vor mehreren Krisen. Wir sind dieses Jahr Zeugen einer tödlichen Mischung verschiedener Ereignisse, die Familien im ganzen Land betreffen. Nach mehreren Krisen seit 2005 sind die meisten Bewältigungsstrategien bereits überstrapaziert. Tausende Menschen sind an ihrem absoluten Limit angekommen", erklärte Samuel Braimah, Oxfam-Länderdirektor im Niger. "Das Schlimmste könnte noch verhindert und tausende Menschenleben gerettet werden, wenn wir jetzt handeln. Es ist eigentlich ganz einfach."

Auf der Grundlage der Studie empfehlen die sieben Hilfsorganisationen folgendes:
  • "Die Gebergemeinschaft muss die notwendigen Mittel dafür freigeben, direkte Nahrungshilfe für diejenigen Familien zur Verfügung zu stellen, die bereits jetzt vor dem Nichts stehen. Gleichzeitig muss verhindert werden, dass die Zahl der hungernden Menschen weiter steigt. Die Erfahrung zeigt, dass unnötiges Warten zu mehr Todesfällen, dem Verlust der Lebensgrundlage führt nd erheblich höhere Kosten der Nothilfe verursacht.
  • Schnelles Handeln ist vor allem im Kampf gegen Nahrungsunsicherheit und Mangelernährung gefragt, besonders für Kinder unter zwei Jahren, ältere Menschen und für schwangere und stillende Frauen. Auch den besonderen Bedürfnissen von Viehzüchtern muss Sorge getragen werden.
  • Dies ist eine chronische Krise, deren Ursachen vielschichtig sind. Die Antwort darauf muss in der Zusammenarbeit mit lokalen Regierungen liegen, um die Risiken auf Gemeindeebene zu vermindern. Nur so können Familien widerstandsfähiger gegenüber Nahrungsknappheit und Dürre werden und in Zukunft ähnliche Krisen besser überstehen."

www.acaps.org

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