Auswärtiges Amt - Pressemitteilungen & Reden

Pressemitteilungen und Reden
  1.  Die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, Luise Amtsberg, erklärte am 27.04.: 

    Am Samstag hat das irakische Parlament eine Verschärfung des sogenannten Anti-Prostitutionsgesetzes beschlossen, das Homosexualität in Irak teils mit drakonischen Strafen belegt. Die Bundesregierung lehnt diese Gesetzesverschärfung entschieden ab.

     

    Sollte das Gesetz in Kraft treten, würden schwere Menschenrechtsverletzungen gesetzlich legitimiert. Dies widerspräche Iraks völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und verletzt universelle Menschenrechte, die allen Menschen zustehen, auch queeren Menschen in Irak. Ich appelliere an die Verantwortlichen in Irak das Gesetz nicht weiter voran zu treiben. Die im Gesetz vorgesehenen Strafen gefährden die ohnehin vulnerabelsten Gruppen innerhalb der irakischen Gesellschaft.

     

    Jede Person hat das Recht zu lieben, wen sie will. Deutschland wird sich gegenüber der irakischen Regierung weiterhin für die Würde und Menschenrechte eines jeden Einzelnen unabhängig von seinem Geschlecht und seiner sexuellen Orientierung einsetzen und Menschenrechte deutlich ansprechen.

  2. In der internationalen Politik bemisst sich Fortschritt oft in Millimetern.

    Zum Beispiel wenn über Lastwagen verhandelt wird, die humanitäre Hilfsgüter ausliefern.

    Oder wenn Konfliktparteien nach jahrelangen Spannungen an einem Tisch zusammengebracht werden.

    Große Durchbrüche und klare Siege sind selten, insbesondere in diesen Zeiten.

    Letztes Jahr gab es jedoch auf der COP in Dubai einen solchen Moment, in dem Großes erreicht wurde.

    Im Dezember 2023 haben 195 Parteien beschlossen, in diesen für die ganze Welt herausfordernden Zeiten der Ära der fossilen Brennstoffe gemeinsam ein Ende zu setzen. Damit das 1,5-Grad-Ziel erreichbar bleibt. 195 Parteien haben beschlossen, bis 2030 die Kapazitäten im Bereich der erneuerbaren Energien zu verdreifachen, Steigerungen in der Energieeffizienz zu verdoppeln und die Vernichtung des Waldbestands zu stoppen.

    Viele von uns, viele von Ihnen, waren dabei. Und Sie alle erinnern sich, dass wir am Ende gefeiert haben. Aber es war alles andere als einfach. Wir haben tagelang, aber vor allem nächtelang, verhandelt. Wir haben viele verschiedene Textentwürfe untereinander ausgetauscht. Eine Zeit lang sah es so aus, als könnten die Verhandlungen scheitern.

    Am Ende jedoch konnten wir einen großen Erfolg verbuchen – nicht nur für unser Klima, für unseren Planeten und für unsere Bürgerinnen und Bürger, sondern auch für den Multilateralismus.

    Zwar ist uns bewusst, dass diese Beschlüsse nicht für alle von uns, insbesondere nicht für mich, mutig und ehrgeizig genug waren, wenn man etwa an die Herausforderungen denkt, vor denen kleine Inselstaaten stehen; dennoch sendet Dubai ein klares Signal an die Realwirtschaft.

    Was wir beschlossen haben, muss nun in der Realität ankommen, damit daraus auch ein großer Erfolg für unsere Bürgerinnen und Bürger werden kann. Wie kann nun also aus Papier, aus der Theorie, Praxis werden? Wie wandeln wir unsere Zusagen in konkrete Ergebnisse um, in lokale Infrastrukturinvestitionen, in Photovoltaikanlagen, in ein grünes Stromnetz? Wie kommen wir von internationalen Verpflichtungen zu konkreten nationalen Klimaplänen, die die nötigen Investitionen ermöglichen?

    Wir müssen es im Vorfeld der diesjährigen COP29 in Baku schaffen, genau diese Fragen auf internationaler Ebene zu beantworten, auf Konferenzen wie dieser. Doch insbesondere – und das ist meiner Meinung nach wichtig – müssen wir bei uns zuhause Antworten auf diese Fragen finden. Weil unsere Bürgerinnen und Bürger, unsere Industrie und unsere Investoren nicht nur wissen möchten, was wir in der Theorie, auf dem Papier, beschlossen haben, sondern weil sie eine Antwort auf die Frage „Was bedeutet das für meine eigene Energiesicherheit?“ haben möchten. Was bedeutet es, wenn wir kein flächendeckendes Netz haben? Hierbei müssen wir vor dem Hintergrund der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten sehr präzise und konkret sein.

    Unser national festgelegter Beitrag, unsere allseits bekannten NDCs, spielen dabei eine Schlüsselrolle, da die COP30 in Belém im nächsten Jahr ein Moment der Wahrheit sein wird. In unserer dritten Verhandlungsrunde zu den nationalen Klimazielen werden wir sehen, ob wir die Verpflichtungen von Dubai in die Praxis umgesetzt haben.

    Daran wird bereits hart gearbeitet. Wenn wir aber innerhalb von sechs Jahren Emissionen halbieren wollen, müssen wir mutiger und entschlossener sein. Und wir müssen neue Koalitionen, neue Allianzen eingehen.

    Der Petersberger Klimadialog wurde zu eben diesem Zweck ins Leben gerufen: um neue Koalitionen, Allianzen mit all denen einzugehen, die wirklich etwas bewegen möchten. Er wurde vor 15 Jahren von unserer ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel gegründet, die ihre besten Wünsche ausrichten lässt.

    Zu diesem Zweck kommen wir heute zum 15. Mal zusammen. Schon in der Vergangenheit haben wir bewiesen, dass Ideen, die bis dato unmöglich schienen, in diesem Forum in Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden können.

    Vor dem Beschluss des Übereinkommens von Paris haben wir 2015 – nicht in diesem Gebäude, aber im Rahmen dieses Forums in Berlin – über ein Konzept diskutiert, das erst später als die zentrale Innovation des Klimaschutzübereinkommens von Paris bekannt werden sollte: die NDCs. Oder, in jüngerer Vergangenheit – und das war in diesem Gebäude – über den Fonds für Verluste und Schäden, den wir vorgeschlagen und hier in Berlin intensiv diskutiert haben, da nicht jeder von ihm überzeugt war. Zwei Jahre später wurde er in Dubai Realität.

    Lassen Sie uns also die innovative Kraft dieses Forums einmal mehr unter Beweis stellen. Doch nicht nur seine innovative Kraft, sondern, was noch wichtiger ist, seinen Geist – den Geist, vor Hindernissen nicht zurückzuschrecken.

    Meiner Meinung nach müssen wir dafür zunächst überholte Debatten hinter uns lassen, wie etwa die, dass es um Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen auf der einen und um wirtschaftliche Entwicklung auf der anderen Seite geht. Das eine schließt das andere nicht aus.

    Vielmehr wird das eine durch das andere gefördert. Wir können bereits jetzt sehen, welch zerstörerische Auswirkungen die Klimakrise auf unsere Volkswirtschaften hat – Folgen, die immer schlimmer werden, wenn wir nicht schnell handeln.

    Nehmen wir zum Beispiel den Panama-Kanal. Im Januar musste der Schiffsverkehr um 36 % reduziert werden. Weil nach monatelanger Dürre einfach nicht mehr genug Wasser durch diese Lebensader des Welthandels floss. Im Welthandel geht es darum, die Klimakrise zu bewältigen.

    Oder nehmen wir sogar unser heutiges Treffen. Heute Morgen habe ich erfahren, dass drei unserer Kollegen aus Lateinamerika und Subsahara-Afrika – Orte also, die weit voneinander entfernt liegen – ihre Teilnahme an dieser Konferenz wegen extremer Wetterereignisse in ihren jeweiligen Ländern absagen mussten. Wegen Dürren, starker Regenfälle, Stürmen. Wegen der sehr realen Folgen der Klimakrise.

    In Deutschland haben wir erkannt, dass Klimaschutz und Wirtschaftswachstum Hand in Hand gehen. Deshalb bauen wir, wie andere Länder auch, unsere Wirtschaft um und richten sie an einem grünen und nachhaltigen Geschäftsmodell aus. Das ist nicht einfach, aber es ist der einzige Weg, und von diesem Weg sind wir überzeugt, damit unsere Wirtschaft, unsere Industrie stark bleiben kann.

    Auch in der EU haben wir das erkannt. Der Grüne Deal ist Ausdruck dieser Überzeugung. Deshalb drängen wir, deshalb dränge ich auf eine Weiterentwicklung des europäischen Grünen Deals als zentraler Rahmen für unsere Wirtschaft, unsere Industrie und unsere Sozialpolitik. Denn auch sie stehen natürlich im Zusammenhang mit unserer wirtschaftlichen Stärke.

    Ich unterstütze mit Nachdruck die Vorschläge der EU für ein EU-weites Klimaziel, durch das Emissionen bis 2040 um mindestens 90 % reduziert werden.

    Viele von uns arbeiten bereits an der Entwicklung und Umsetzung ehrgeiziger NDCs, die Klima- und Investitionspläne miteinander vereinen. Nennen wir diese Aktionspläne unsere „NDCs 3.0“.

    Dennoch müssen wir eine zentrale Herausforderung anerkennen. Darüber haben wir auch in Dubai gesprochen, und ich persönlich bin sehr dankbar für diese kritischen, diese selbstkritischen Überlegungen: Manchmal können selbst mit soliden Plänen für Klimainvestitionen nicht die Mittel angeworben werden, die nötig sind. Weil nicht jedes Land die gleiche Kreditwürdigkeit genießt wie meines oder nicht den gleichen Zugang zu Kapital hat. Heute fließen 90 % der Mittel aus grüner Finanzierung weltweit in Industrieländer und ein paar Schwellenländer. Ungeachtet der Tatsache, dass die meisten Orte, an denen Klimainvestitionen bestmögliche Ergebnisse erzielen würden, schlichtweg woanders liegen Es ist außerdem einfach unfair.

    Von den Orten, die sich am besten für Photovoltaikanlagen eignen, liegen, wie wir mittlerweile alle wissen, 60 % in Afrika. Aber nur 1 % der weltweiten Photovoltaikleistung ist auf dem afrikanischen Kontinent installiert. Diese Herausforderung müssen wir dringend angehen. Die Klimakrise heute, im Jahr 2024, zu bekämpfen, bedeutet, dass Investitionen, Fähigkeiten und Kapazitäten dorthin gebracht werden müssen, wo sie gebraucht werden.

    Wir sprechen hier allerdings nicht von unerheblichen Summen. Immerhin geht es um die Investitionen, die wir brauchen, um unsere Volkswirtschaften weltweit grundlegend umzubauen. Wir brauchen 5 Billionen US-Dollar jährlich für den globalen ökologischen Wandel – mehr als 2 Billionen US-Dollar davon speziell für die Entwicklungsländer. Die Hälfte dieser 2 Billionen US-Dollar muss aus den Entwicklungsländern selbst kommen und die andere Hälfte natürlich aus internationalen Finanzströmen.

    Das sind die Zahlen, die die Unabhängige Hochrangige Expertengruppe für Klimafinanzierung veröffentlicht hat. Die zentrale Frage, die sich uns jetzt stellt und wegen der wir heute hier sind, ist also: Wie können wir ein neues internationales Finanzsystem aufbauen, das jährlich internationale Finanzmittel in Höhe von 1 Billion US-Dollar für Entwicklungsländer mobilisiert?

    Meiner Meinung nach gibt es drei Aspekte, die uns dabei helfen werden:

    Erstens, um es klar zu sagen: In den Industrieländern müssen wir unserer Verantwortung weiterhin gerecht werden. Deshalb werden die Finanzierungsbeiträge der Industrieländer und der multinationalen Entwicklungsbanken weiterhin die Grundlage für unsere Bemühungen sein. Deutschland hat seine Versprechen in diesem Zusammenhang gehalten und wird dies auch in Zukunft tun. Die Summe, die wir für Klimafinanzierung bereitstellen, beläuft sich inzwischen auf 6,4 Milliarden Euro, und ich möchte bestätigen, dass unser Ziel für 2025 bei 6 Milliarden Euro pro Jahr liegt. Obwohl wir uns in Europa – und auch das möchte ich ganz offen sagen – wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine knappen Haushaltsmitteln gegenübersehen.

    Wir ermutigen andere Industrieländer, es uns gleichzutun, damit wir weiterhin gemeinsam unsere 100-Milliarden-Dollar-Zusage erfüllen können, so wie wir es 2022 endlich zum ersten Mal geschafft haben.

    Zweitens müssen wir darauf aufbauen und die 100-Milliarden-Dollar-Grenze überschreiten. Seit der Unterzeichnung des VN-Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen 1992 hat sich die Welt ganz offensichtlich verändert. In jenem Jahr entfielen 80 % der weltweiten Wirtschaftsleistung auf die zwei Dutzend Länder, die für die internationale Klimafinanzierung aufkamen. Nun ist dieser Anteil auf 50 % gefallen, und der Anteil aller anderen Länder hat sich mehr als verdoppelt. Deshalb fordere ich all jene, denen es möglich ist, nachdrücklich auf, sich unseren Anstrengungen anzuschließen. Insbesondere diejenigen, die heute die größten Verschmutzer sind. Und insbesondere auch den Kreis der G20. Denn starke Volkswirtschaften stehen auch stark in der Verantwortung.

    Dennoch, und das ist mein dritter Punkt: Angesichts der Billionen von US-Dollar, die zur Finanzierung unserer weltweiten Klimaschutzbemühungen nötig sind, werden öffentliche Mittel einfach nicht ausreichen. Wir müssen neue und innovative Finanzierungsquellen erschließen. Das haben wir bereits in verschiedenen Texten gesagt, auch mit Blick auf den Fonds für Verluste und Schäden, und das ist uns wichtig, weil wir nicht nur etwas versprechen, sondern auch liefern wollen.

    Deshalb brauchen wir neue, innovative Finanzierungsquellen. Wir müssen es endlich schaffen, dass der Privatsektor erheblich mehr in eine sicherere, sauberere und resilientere Wirtschaft in den Entwicklungsländern investiert. Wir müssen unsere öffentlichen Finanzmittel als Katalysator zu eben diesem Zweck einsetzen.

    Damit private Finanzmittel verfügbar gemacht werden, müssen wir die Lücke zwischen der Politik, die die nationalen Ziele festlegt, den lokalen Behörden, die die Bedürfnisse der Gemeinden am besten kennen, und einem leistungsfähigen internationalen Finanzsystem schließen, das die Ressourcen bereitstellen kann.

    Einige unserer Partner haben dafür innovative Wege gefunden. Ich habe beispielsweise erfahren, dass Barbados seine NDCs nicht nur erfolgreich als nationalen Klimaschutzplan nutzt, sondern auch als nationalen Investitionsplan. Um den Plan praktisch umzusetzen, hat das Land eine Bank gegründet, die Regierungsstellen, private Unternehmen, Investoren und internationale Institutionen wie die Weltbank zusammenbringt. Barbados verknüpft also klimapolitische Planung, die Umsetzung von Projekten und öffentliche und private Finanzierung. 

    Ich bin überzeugt, dass wir alle davon lernen können. Wenn wir die öffentlichen und privaten Investitionen, die die Welt braucht, sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene mobilisieren wollen, müssen wir uns bewährte Verfahren zum Beispiel nehmen.

    Deshalb möchte ich heute vorschlagen, dass wir eine aus vielen Akteuren bestehende Allianz bilden mit dem Ziel, an NDCs zu arbeiten, die am 1,5 Grad-Ziel ausgerichtet sind. NDCs, die als zentrale Referenzdokumente für den Klimaschutz und für wirtschafts- und entwicklungspolitische Maßnahmen dienen. Dafür brauchen wir jede helfende Hand. Eine Koalition der Gestaltungswilligen, die Regierungsbehörden – Außen-, Klima-, Wirtschafts-, Entwicklungs- und Finanzministerien – und Finanzinstitutionen wie Entwicklungsbanken und private Finanzakteure sowie die Zivilgesellschaft, indigene Völker, internationale Organisationen und bestehende Initiativen vereint.

    Sowohl bei der Weltbank als auch beim IWF, die zunehmend im Bereich Klimaschutz arbeiten, wurden hierbei gute Fortschritte erzielt. Das UNDP wurde gebeten, in Bezug auf die NDCs die Führung im VN-System zu übernehmen. Die NDC-Partnerschaft steht auch unterstützend zur Seite.

    Anstatt neue Institutionen zu schaffen, sollte diese aus vielen Akteuren bestehende Allianz beziehungsweise Koalition also in Bezug auf Emissionsreduktionsziele in emissionsintensiven Ländern Anreize für mutige politische Entscheidungen auf nationaler Ebene setzen.

    Denn wenn sich die großen Volkswirtschaften, insbesondere die G20-Mitglieder, nicht bewegen, dann scheitern wir alle gemeinsam.

    Die Allianz sollte ärmere und gefährdete Länder bei der Erarbeitung und Umsetzung ihrer NDCs unterstützen, die dann als die bereits erwähnten zentralen Referenzdokumente dienen sollten. In dem vollen Bewusstsein, dass es bei vielen nicht an Ehrgeiz, sondern – wie ich zu Beginn bereits gesagt habe – an Mitteln fehlt, möchten wir mit internationalen Organisationen zusammenarbeiten und auch Finanzinstitutionen ins Boot holen. Wir freuen uns darauf, mit Ihnen allen im Rahmen des Petersberger Klimadialogs in den nächsten Tagen im Detail über diese Allianz zu sprechen.

    Um Schwung in unser Engagement zu bringen, wird Deutschland Partnerländern zusätzliche Finanzhilfen zur Verfügung stellen, um sie dabei zu unterstützen, ehrgeizige und umsetzbare NDCs zu erarbeiten.

    Damit Klimaschutzbemühungen und finanzielle Möglichkeiten,

    klimapolitische Maßnahmen und wirtschaftliche Entwicklung vorangebracht werden können.

    Zu unser aller Nutzen. Unabhängig davon, ob wir aus dem Norden, dem Süden, dem Osten oder dem Westen kommen.

    Denn letztendlich haben wir in diesen stürmischen Zeiten alle, weltweit, dasselbe Anliegen: Wir möchten eine Zukunft aufbauen, in der wir und insbesondere unsere Kinder in Wohlstand, Sicherheit und Freiheit leben können.

  3. Gemeinsame Erklärung des Auswärtigen Amtes (AA) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zu UNRWA (24.4.):

    Wir begrüßen, dass der Bericht der von den Vereinten Nationen eingesetzten „Independent Review Group" unter der Leitung der ehemaligen französischen Außenministerin Catherine Colonna nun vorliegt. UNRWA hat erklärt, die Empfehlungen des Berichts rasch und vollumfänglich umzusetzen. Damit knüpft UNRWA auch an Maßnahmen an, die infolge der von Israel erhobenen Vorwürfe bereits ergriffen wurden.

    Die Bundesregierung hat sich mit den von Israel erhobenen Vorwürfen gegen UNRWA intensiv auseinandergesetzt und sich hierzu eng mit der israelischen Regierung, den Vereinten Nationen und anderen internationalen Gebern ausgetauscht.

    Die Empfehlungen des Colonna-Berichts müssen nun unverzüglich umgesetzt werden. Hierbei kommen der Stärkung der UNRWA-Innenrevision und ihrer Besetzung mit internationalem UN-Personal, der verbesserten externen Aufsicht über das Projektmanagement, dem weiterhin kontinuierlichen Abgleich der UNRWA-Beschäftigtenlisten mit den israelischen Sicherheitsbehörden sowie dem Ausbau der internen Fortbildung eine besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich die neue wichtige Rolle, die Sigrid Kaag als zentrale UN-Hilfskoordinatorin für Gaza einnimmt, die wir nach allen Kräften unterstützen.

    Vor diesem Hintergrund und in Begleitung dieser Reformen wird die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit UNRWA in Gaza in Kürze fortsetzen, so wie u.a. bereits Australien, Kanada, Schweden und Japan. Deutschland wird sich mit seinen engsten internationalen Partnern zur Auszahlung weiterer Mittel eng abstimmen. Der kurzfristige Finanzierungsbedarf von UNRWA in Gaza ist derzeit durch vorhandene Mittel gedeckt.

    Mit der Fortsetzung der akuten Zusammenarbeit stützen wir die lebenswichtige und derzeit nicht zu ersetzende Rolle von UNRWA für die Versorgung der Menschen in Gaza, denn auch andere internationale Hilfsorganisationen sind auf die operativen Strukturen von UNRWA in Gaza derzeit angewiesen. Zuletzt haben die G7 am 19. April unterstrichen, dass UNRWA und andere UN-Organisationen in der Lage sein müssen, ihr Mandat zur Verteilung humanitärer Hilfe in Gaza voll und ganz auszufüllen. Dies ist angesichts der anhaltenden humanitären Katastrophe in Gaza wichtiger denn je.

  4. Zu Berichten über den Test mehrerer ballistischer Kurzstreckenraketen durch Nordkorea am 22.04.2024 erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amts heute (22.04.):

    Wir verurteilen den heutigen illegalen Test mehrerer ballistischer Kurzstreckenraketen durch Nordkorea auf das Schärfste.

    Der Test ist ein erneuter schwerwiegender Verstoß gegen die Auflagen einschlägiger Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und gefährdet die Sicherheit auf der koreanischen Halbinsel und in der gesamten Region in eklatanter Weise. Es ist besorgniserregend, dass Pjöngjang auch in diesem Jahr seine völkerrechtswidrige Serie an Raketentests fortsetzt und damit den regionalen und internationalen Frieden bedroht.

    Wir fordern Nordkorea mit Nachdruck dazu auf, weitere Raketenstarts zu unterlassen, seine völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten, die Gesprächsangebote der USA und Südkoreas anzunehmen und in ernsthafte Verhandlungen über den Abbau seiner völkerrechtswidrigen Nuklear- und Raketenprogramme einzusteigen. Nordkorea ist zur vollständigen, unumkehrbaren und überprüfbaren Beendigung seiner Programme zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen und ballistischen Raketen verpflichtet.

  5. -- Es gilt das gesprochene Wort --

    Vor zwei Wochen wurde Europas größtes Atomkraftwerk mit Drohnen angegriffen.

    Die Hülle hielt. Aber in der Außenhülle von Reaktorblock sechs gab es einen Einschlag. Haben Sie das überall auf den Tageszeitungen gesehen?

    Ich ehrlich gesagt nicht. Das AKW Saporischschja liegt genau an der Front in der Ukraine, am Fluss Dnipro. Dort, wo die ukrainischen Verteidiger den russischen Angreifern gegenüberstehen.

    Und wir sehen zwei Jahre später, nachdem wir am 24. Februar 2022 in einer anderen Welt aufgewacht sind: Das sind schon keine News mehr. Das ist offensichtlich normal, in diesen „unruhigen Zeiten“. Und ich glaube, das sagt eigentlich alles über diese Zeiten, in denen wir Politik machen, in denen sie investieren, in denen wir alle gemeinsam in unserem Europa leben. Unruhige Zeiten. So haben sie ihren Bankentag aus meiner Sicht sehr treffend überschrieben.

    In Zeiten, in denen Kampfdrohnen an einem Atomreaktor 1600 Kilometer von Berlin entfernt kaum eine Meldung sind, ist dieses Motto vielleicht noch vorsichtig, diplomatisch ausgedrückt. Denn wir leben in Zeiten, in denen wir uns an diese Dauerkrise, an ein ständiges Risiko offensichtlich fast schon gewöhnt haben.

    Für Sie hier vom Bankenverband gehört die Risikoanalyse ja bekanntermaßen zum Kerngeschäft. Als Finanzbranche müssen Sie laufend auf diese Entwicklung reagieren und die künftigen Entwicklungen so gut es geht antizipieren. Für uns in der Politik gilt, insbesondere in der Außenpolitik in diesen unruhigen Zeiten, genau dasselbe. Weil wir am 24. Februar alle zusammen in einer anderen Welt aufgewacht sind.

    Wir haben in den letzten Jahren durch Russland erlebt, wie Abhängigkeiten in unseren Energiebeziehungen als geopolitische Waffe gegen uns eingesetzt wurden, und dass durch die Dimension dieser Abhängigkeiten unsere ganze Volkswirtschaft gefährdet war. Auch das haben wir schon wieder fast vergessen, obwohl es nur gut ein Jahr her ist, dass wir uns tatsächlich gefragt haben: müssen wir im Winter eigentlich frieren? Wir mussten uns existenzielle Fragen stellen, weil wir allein auf die Hoffnung gesetzt haben.

    Das darf uns nicht noch einmal passieren. In dieser Verantwortung, davon bin ich zutiefst überzeugt, stehen wir in der Politik in diesen unruhigen Zeiten. Und in dieser Verantwortung stehen, Sie haben das gerade deutlich unterstrichen, und dafür bin ich dankbar, auch Sie in der Wirtschaft. Denn es ist unser Land, es ist unsere Gesellschaft, es ist unser Europa.

    Und deswegen, und das ist ein zweiter Punkt, über den ich mich freue in Ihrem Motto, ist es gut, dass vor den „unruhigen Zeiten“ ein aktives Verb steht, nämlich „Navigieren“. Und ich glaube, genau das macht den Unterschied in diesen Zeiten. Ob wir weiter darauf vertrauen, dass wir uns schon irgendwie treiben lassen können oder ob wir selbst navigieren. Ob wir das Ruder, das Steuerrad selbst in die Hand nehmen. Und das ist was uns, die Verantwortung tragen in diesem Land, in unserem Europa, ausmacht: dass wir uns fürs Navigieren entschieden haben. Denn wenn wir es nicht täten, dann wäre es fahrlässig.

    Das bedeutet dann aber auch, selbstkritisch zusammen zu analysieren: wo haben wir in der Vergangenheit falsch gelegen? Sie mit Ihren Risikoanalysen, wo es Unternehmen viel Geld gekostet hat? Wir – ich sage das mal als Politik neutral insgesamt – weil die falschen Entscheidungen, das Nicht-Hinhören bei Warnungen nicht nur massiven diplomatischen Schaden, Vertrauensverlust mit sich gebracht hat - das habe ich in meinen ersten Monaten im Amt vor allen Dingen im Baltikum erlebt –, sondern auch die größte Sicherheitsgefahr für uns selbst.

    Man kann immer Fehler machen, das gehört zum Leben dazu. Ansonsten würde man sich ja niemals was Neues trauen. Aber einen Fehler zweimal zu machen, das macht dann einen Unterschied. Dann wäre es kein Risiko, sondern fahrlässig. Und daher war die zentrale Antwort von uns als Bundesregierung und federführend aus meinem Auswärtigen Amt, dass wir uns unsere eigene Sicherheit kritisch – selbstkritisch – angeschaut haben und unsere Abhängigkeiten, gerade auch im Energiebereich, angeschaut haben.

    Und in dem Sinne ist De-Risking der Schwerpunkt unserer wirtschaftlichen Tätigkeit in den letzten anderthalb Jahren gewesen. Also De-Risking, nicht De-Coupling. Als wirtschaftliche Diversifizierung, als Schwerpunkt nicht nur unser Chinastrategie, sondern unserer Nationalen Sicherheitsstrategie.

    Und der Kern dieser beiden Strategien ist, darüber haben wir, Herr Sewing, vor einem Jahr intensiv gesprochen: wie wir in diesen Zeiten, wo ein De-Risking, eine Diversifizierung ganz stark beinhaltet, dass politische Entscheidungen mit wirtschaftlichen Tätigkeiten und vor allen Dingen Investitionen Hand in Hand gehen, wie wir Politik und Finanzwirtschaft in diesen unruhigen Zeiten stärker zusammenbringen und zusammenarbeiten lassen.

    In diesem Sinne herzlichen Dank, dass Sie mich heute Abend hier eingeladen haben. Enger zusammenarbeiten, das heißt natürlich nicht politischer Interventionismus oder bürokratische Regulierungswut, wie es manchmal genannt oder verächtlich gemacht wird. Sondern es bedeutet im Sinne des gemeinsamen Bewusstseins und der gemeinsamen Verantwortung für diese enormen Herausforderungen, vor denen ja nicht nur Deutschland, sondern Europa steht, klug und strategisch zu entscheiden und zu handeln. Also gemeinsam zu navigieren. Denn wir haben gesehen, was die Passivität der letzten Jahre, was das Hoffen auf „Wandel durch Handel“ bewirkt hat. Da trieben wir dahin und andere navigierten gegen uns. Am Ende auf brutalste Art und Weise.

    Und ich sage das so deutlich, weil „Fehler nicht zweimal machen“, das sagt sich so schön. Aber weil ich, das sage ich ganz ehrlich, in den letzten Monaten schon auch ein bisschen irritiert war, als wir uns gefragt haben: Was heißt jetzt De-Risking? Und zum Beispiel mit Blick auf unsere Chinapolitik sofort alte Reflexe wieder eingesetzt haben. Nämlich, dass ein De-Risking als De-Coupling bezeichnet worden ist oder dass die Frage von strategischer Industriepolitik so einfach weggewischt wurde.

    Und ich erlebe, dass dann droht, dass wir doch manche Fehler zweimal machen.

    Wir müssen uns immer wieder fragen: wir sind die drittgrößte Volkswirtschaft. Aber was bedeutetet das für andere? Ich habe das noch mal so deutlich erlebt, als ich Anfang des Jahres auf den Philippinen war. Und ich war noch gar nicht gelandet, da erreichte uns schon eine Presseäußerung vom Außenministerium aus China. Was bedeutet das dann für ein Land wie die Philippinen? Die hatten ganz viele Sorgen, da geht es etwa um Laserattacken auf philippinische Fischerboote. Das klingt erstmal klein, ein Fischerboot. Aber es ist ein bewusstes Unterbinden von Souveränitätsansprüchen direkt vor der philippinischen Haustür.

    Da wurde uns dann etwas der Spiegel vorgehalten, als ich nach dem 24. Februar weltweit herumtelefoniert habe, mit Hochdruck, und gesagt habe: Es gibt einen großen Angriff nicht nur auf die Ukraine. Wenn ich gesagt habe: das betrifft unsere europäische Friedensordnung, wir brauchen euch jetzt, wir brauchen euch bei der Abstimmung in den Vereinten Nationen, wir brauchen euch bei der Generalversammlung. Wir brauchen eine Mehrheit gegen den russischen Angriffskrieg. Und da zählt jede Stimme, egal, ob ein Land ein paar Hunderttausend Einwohner hat oder Millionen. Wir hatten dann eine Mehrheit von über 140 Staaten. Da habe ich doch das ein oder andere Mal gehört: „wo wart ihr eigentlich, als wir über diese Laserangriffe gesprochen haben?“, „wo wart ihr eigentlich, als wir gesagt haben, wir werden von den Huthis angegriffen, als Golfstaat?“

    Und auch das bedeutet es, Fehler nicht zweimal zu machen, dass wir eben nicht erst bei der großen maximalen Eskalation alles dafür tun müssen, dass das nicht kommt, sondern Warnsignale, gerade auch von Partnern, die unsere Werte teilen, aber auch unsere Interessen teilen – nämlich territoriale Integrität, territoriale Souveränität, freie Seewege – ernstnehmen. Dass wir unsere Partner nicht nur hören, sondern bei ihren Anliegen entsprechend auch unterstützen.

    Und daher, um den großen Bogen zurück zu spannen, sind wir mit Blick auf die China-Strategie und die Nationale Sicherheitsstrategie derzeit so stark dabei, deutlich zu machen: es sind nicht nur unsere Werte, über die wir hier reden, sondern es sind unsere Interessen. Es gibt keinen Gegensatz zwischen unseren Werten und unseren Interessen. Weil, wenn das internationale Recht der freien Seewege nicht mehr gilt, dann kann man vielleicht eines Tages nicht mehr durch die Straße von Taiwan fahren. Durch diese Straße von Taiwan geht aber jedes zweite Containerschiff der Welt mindestens einmal im Jahr. Zwei Drittel des deutschen Handels mit Ostasien wird über den Schiffsweg durchgeführt. Fiele diese Straße weg, so zeigen Studien, dann ginge die deutsche Industrieproduktion um 16% zurück.

    Und deswegen ist es für uns so wichtig und entscheidend, dass nicht nur wir als deutsche Bundesregierung, sondern, das ist meine Einladung immer wieder gerade an Sie als deutsche Wirtschaft, als Finanzwirtschaft, dass wir deutlich machen: eine Änderung des Status quo, eine einseitige Änderung des Status quo, können wir nicht hinnehmen, weil es den Schutz der internationalen Seewege und unseren eigenen Schutz betrifft.

    Ähnliches erleben wir jetzt auch mit Blick auf die Huthis und das Rote Meer. Denn 98% dieses deutschen Ostasienhandels per Schiff geht durch das Rote Meer. Wir erleben, was das für Auswirkungen bei uns hat. Ich komme aus Brandenburg, wo Tesla produziert. Da haben die Lieferbänder zwei Wochen nicht mehr so richtig gearbeitet, weil das Rote Meer so stark unter Beschuss stand. Die Häfen hier bei uns haben es erlebt: Einbruch um bis zu 25%.

    Das heißt: freier Welthandel, freie Marktwirtschaft braucht Regeln. Braucht faire Regeln, braucht fairen Wettbewerb. Und der Staat braucht die internationale Ordnung.

    Wir als Staat setzen die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Dieser Leitsatz ist und bleibt mir wichtig. Aber der Staat kann allein, und auch das ist essenziell, nicht diversifizieren. Wenn wir sicherheitspolitisch unsere Handelsbeziehungen zu Lateinamerika, in Asien und in Afrika ausbauen wollen, dann ist dafür auch entscheidend, meine Damen und Herren, ob Ihre Institute in der Lage sind, die notwendigen Investitionen deutscher Unternehmen für diese Diversifizierung zu finanzieren, oder ob sie sie als Risiko einstufen.

    Und auch deswegen ist die Zusammenarbeit so wichtig, weil Länder und Regionen, die man gar nicht richtig kennt, die kann man natürlich auch schlecht beurteilen. Das heißt, De-Risking, Diversifizierung bedeutet für uns eben gerade auch, mehr miteinander ins Gespräch zu kommen über neue Standorte, über neue Investitionsentscheidungen. Denn diese Bewertung, was eine Risikofinanzierung darstellt und was nicht, hat klar Auswirkungen auf unsere Möglichkeiten zur Diversifizierung und damit auf unsere eigene Sicherheit.

    Und weil Standortfaktoren in diesen unruhigen Zeiten Sicherheitsfaktoren sind und weil Finanzierungsentscheidungen für unser Land von strategischer Bedeutung sind, ist es so essenziell, dass wir diese gemeinsam heute hier diskutieren. Und dass wir dafür auch den europäischen Rahmen wählen. Weil ja, wir sind die drittstärkste Volkswirtschaft. Aber unsere Power kommt aus dem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt.

    Man muss sich doch nur einmal fragen, wo wir auch heute stünden, wenn wir in dieser europäischen Legislaturperiode der letzten fünf Jahre, die gerade zu Ende geht, die EU nicht gehabt hätten. Wenn wir in der Pandemie keine gemeinsame Impfstoffbeschaffung gehabt hätten. Wenn nach dem russischen Angriff auf die Ukraine oder in der Gaskrise 27 Nationalstaaten ihre eigenen Pläne gemacht hätten. Gerade wir als Deutsche brauchten zu Beginn unsere europäischen Nachbarn.

    Für mich zeigen diese Jahre, so turbulent sie waren, immer auch das Positive. Die EU ist in der Krise handlungsfähig. Sie war aus meiner Sicht so handlungsfähig wie lange nicht zuvor. Wir haben den größten länderübergreifenden Binnenmarkt der Welt, und genau das ist das Fundament unseres Wohlstands und unserer Sicherheit.

    Und hier sind wir wieder beim Navigieren – und bei einer aktiven Außenwirtschaftspolitik. Denn diese Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union, die kommt natürlich auch nicht von allein. Und dort, wo wir schlafen, auch dort füllen diese Lücken dann andere. Das haben wir in unterschiedlichen Sektoren mehr als deutlich gesehen. Und aus meiner Sicht droht uns das, wenn wir nicht dringend handeln, gerade auch mit Blick auf die Zukunftstechnologien wie KI, aber auch in vielen anderen Bereichen.

    Deswegen müssen wir aus meiner Sicht gerade in diesen stürmischen Zeiten, wo Populisten versuchen, auch Europa gegeneinander aufzubringen, mehr Europa wagen. Wir brauchen mehr europäische Wettbewerbsfähigkeit aus ökonomischen, aber vor allen Dingen aus sicherheitspolitischen Gründen

    Doch auch da ist das Glas eigentlich halbvoll. Allein in Deutschland sind bereits 6600 Start-Ups im Bereich der KI gegründet worden. Eine Technologie von elementarer strategischer Bedeutung, die unsere Welt verändert, verändern wird, aber schon verändert hat. Die schlechte Nachricht wiederum: trotzdem geben über die Hälfte der Start-Ups in der EU an, dass es ihnen hier an Finanzierung mangelt. Das gesamte aufgenommene Wagniskapital im Bereich KI beträgt in den USA 30 Milliarden Dollar, in der EU nicht einmal 4. Und dabei ist eigentlich dieses Kapital hier bei uns vorhanden. Nur fließen davon jährlich knapp 300 Milliarden Euro ins Ausland, und zwar vorwiegend in die USA.

    Wir haben also in Europa Köpfe, wir haben das Know-How, wir haben die Unternehmen – aber wir haben das Kapital, was eigentlich da ist, nicht zum Investieren. Die entscheidende Frage, die Sie ja morgen weiter diskutieren werden ist: wie kommt nun beides zusammen?

    Aber weil diese Zeiten so stürmische Zeiten sind, erlaube ich mir hier auch als Außenministerin dazu ganz knapp ein paar Stichpunkte für morgen mit in die Debatte zu werfen. Unser europäischer Binnenmarkt ist offensichtlich nicht vollendet, gerade wenn der Kapitalmarkt so fragmentiert bleibt. Da sind wir noch immer 27 finanzielle Kleinstaaten, in denen es für Unternehmen oftmals einfacher ist, privates Kapital in den USA aufzunehmen und umgekehrt für Anleger aus Europa einfacher ihr Kapital dort zu investieren. Auch das ist ja eine der Absurditäten, dass Unternehmen hier rausgehen, weil sie dort ihr Kapital investieren – und dann dort auch produzieren.

    Das bedeutet, dass die EU bei der Finanzierung elementarer Zukunftsinvestitionen einfach ihr Potenzial nicht ausschöpfen kann. Wenn wir zum Beispiel unsere große Aufgabe – vor dem 24. Februar hätte man gesagt: die große Herausforderung unserer Zeit –, die Finanzierung der grünen Transformation in Europa bis 2050 nehmen, dann bedarf das nach Schätzungen 1,5 Billionen Euro jährlich an Investitionen. Das ist das Dreifache des Bundeshaushalts. Das kriegen wir alleine nicht hin.

    Was also vermeintlich eine rein finanzmarktpolitische Frage ist, berührt ganz offensichtlich elementare geostrategische Fragen. Nur mit einer tatsächlichen Kapitalmarktunion können wir als EU bei den Zukunftsthemen, der grünen Transformation, beim Aufwuchs unser Verteidigungsfähigkeit – das ist nun einmal neu dazugekommen – und bei der künstlichen Intelligenz die Nase vorne haben und vernünftig mitlaufen. Nur so kann Europa geopolitisch und geostrategisch handlungsfähig sein.

    Daher heißt das für mich gerade auch in diesem Europawahlkampf, wo manche Rechtsaußen die Europäische Union zersprengen wollen, wo andere sagen „aufgrund des Rechtsrucks, den wir hier haben, verhalten wir uns doch mal lieber leise und sagen gar nichts“ wiederum zu navigieren. Deutlich zu machen, wo wir hinwollen. Und mit Leidenschaft und Verve für mehr Europa, für eine stärkere und für einen vollendeten gemeinsamen Binnenmarkt und entsprechend auch Kapitalmarktunion zu werben.

    Dafür, und das wird sicherlich auch hier Thema sein, müssen wir zum Beispiel bei den privaten Anlageprodukten, wenn sie grenzüberschreitend funktionieren sollen, Fortschritte machen. Bei der Harmonisierung der Kapitalmarktaufsicht. Da geht es darum: wer richtet sich nach wem? Um die Frage der Bürokratie. Denn ohne Regeln hätten wir auch keinen funktionierenden Binnenmarkt. Natürlich darf man es nicht totregulieren.

    Und vor allen Dingen müssen wir schauen auf die Verfahren bei Unternehmensinsolvenzen, dass wir auch diese stärker zusammenbringen.

    Das sind dicke Bretter. Und natürlich können 27 Mitgliedstaaten auch am besten wieder 27 Meinungen haben. Aber wenn wir als Europäer gar keine Meinung haben, dann werden halt die Investitionen in den USA oder, wenn es schlechter läuft, in anderen Regionen getätigt, die nicht nur im Wettbewerb mit uns stehen, sondern die auch unser systemischer Rivale sind.

    Das heißt, wenn wir hier vorankommen wollen, dann brauchen wir mehr Europa. Wir brauchen eine echte europäische Wettbewerbsfähigkeit, die eine wirkliche Sicherheitsfähigkeit in diesen Zeiten bedeutet. Und zugleich gilt: was hilft die beste Kapitalmarktunion in der EU, wenn zugleich das Fundament des Binnenmarktes, auf dem die Europäische Union gebaut ist, nämlich die Rechtsstaatlichkeit, die Freiheit, die Demokratie, abgesägt wird? Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie in diesen stürmischen Zeiten hier so ein klares Statement abgegeben haben.

    Denn bei den Europawahlen treten überall in Europa Antidemokraten und Antieuropäer an, und dabei bauen sie ganz bewusst auf die Online-Trolle von außen. Die auch von außen gefüttert werden. Die in 1,3 Sekunden, das haben wir gerade beim letzten Angriff gesehen, 100.000 Tweets rausfeuern können. Und das dann als gefühlte Meinung darstellen können. Diese Unterstützung für die Antidemokraten von außen können wir nur kontern, wenn wir als Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen.  Sie haben das gerade angesprochen: wir müssen in diesen unruhigen Zeiten als Bürgerinnen und Bürger, als Gesellschaft, als Demokraten gemeinsam Position beziehen gegen nationalistische Abschottungsrhetorik und rechtsextremen Populismus, gegen Antidemokraten, die unsere Gesellschaft und unser Europa spalten wollen.

    Denn ein freies, ein demokratisches Europa ist die Grundlage unseres Friedens, unseres Wohlstandes und unserer Sicherheit. Und es ist an uns allen, dieses Europa zu schützen und zu verteidigen.

    Bei der Europawahl, aber eigentlich jeden Tag.

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